Zu groß für eine einzige Reise ist die viertgrößte Insel der Erde allemal. Statt von einer Sehenswürdigkeit zur anderen zu fliegen, lohnt es sich, Land und Leute von der Straße aus kennenzulernen. Zwischen der Hauptstadt Antananarivo und dem Strand von Ifaty an der Südostküste liegen tausend spannende Kilometer.
„Mora, mora, das bedeutet immer schön langsam“, erklärt Heni, die Chefin von Authentic Madagascar Tours, als sie auf der Fahrt vom Flughafen in perfektem Deutsch eine Einführung in die lokale Lebensart gibt. Von wegen. Der Handywecker reißt mich im Morgengrauen aus dem bequemen Bett im AS Gästehaus. Irgendwo kräht ein Hahn. Der Haushund antwortet. Kurz danach geht es schon im Auto durch den Stau. Laut Henintsoa (kurz Heni genannt) zählt der seit Jahren zu den permanenten Übeln des Lebens in Antananarivo.Langeweile kommt bei dem Trubel vor der Windschutzscheibe dennoch kaum auf, denn ganz „Tana“ ist ab dem Moment, in dem die Sonne aufgeht, auf den Beinen. Die engen Straßen sind voller Menschen, die trotz der herrschenden hohen Arbeitslosigkeit alle einen Plan zu haben scheinen. Der Völkermix ist unübersehbar. Kleine, bunte Kiosks am Straßenrand verkaufen Mofo Gasy – eine Art Palatschinke in Kugelform – aber auch Baguettes, Erbe der französischen Kolonialzeit. Der verdankt die Stadt wohl auch ihre beigen Taxis, die sich als Renault R4, R5 oder Citroën 2CV präsentieren, oder eben als das, was von ihnen noch übrig ist. Zurück zum Stau: Sammeltaxis speien Menschen aus und nehmen gleich wieder welche auf. Junge Männer machen sich als Schaffner wichtig und treiben die Einsteigenden mit einem Bündel Geldnoten in der Hand zur Eile an. Keine Spur von „Mora, mora“!
Der Himmel so hoch
Kaum haben wir uns aus dem Stadtverkehr gewunden und uns auf der „Route national 7“ eingereiht, ist die Hektik wie weggeblasen. Mein Blick bleibt an der Landschaft hängen, die am Autofenster vorüberzieht wie in einer Diashow, auf der ein prächtiges Bild vom nächsten übertroffen wird. Grüne Reisterrassen und Hügel mit kleinen Ziegelhäusern sind über die Hochebene verteilt. Vor einem Hirtenjungen trotten ein paar Zebu-Buckelrinder durch ein Feld. Hoch darüber ziehen weiße Haufenwolken durch das Blau. An einem Fluss liegt ein Mosaik aus bunten Kleidern zum Trocknen in der Sonne. Als wir bei einem Schlagloch anhalten, entdeckt mich eine Gruppe Kinder. Ihre Augen leuchten auf und während sie begeistert zu winken beginnen, schreien sie „Vazaha!“, ihr Code-Wort für „Weiße“. Ein paar Frauen lächeln mir zu. Schon nach 50 km bin ich am besten Weg mich zu verlieben.
Lemuren auf den Spuren
Elysee strahlt. Im Mai gibt es kaum Touristen im Ranomafana Nationalpark, doch er hat eine der wenigen Gruppen ergattert. Sofort legt er auf Englisch los: „Wenn es jetzt Sommer wäre, könnten Sie alle 20 Meter eine Schlange sehen!“ Froh über meine Wahl der schlangenarmen Reisezeit stapfe ich hinter Elysee über die mit Holzlatten befestigten Matschstufen und lerne dabei viel über all die Vögel, Tiere und Pflanzen, die es sonst nirgends auf der Welt gibt. Neben den Chamäleons, die mit ihren Glubschaugen, dem wilden Farbenspiel und kantigen Bewegungen irgendwie an Außerirdische erinnern, sind die Madagassen besonders auf ihre Lemuren stolz. Sich im dichten Regenwald an ihre Spur zu hängen, ist ein aufregendes Unterfangen, stets begleitet von einem vagen Gefühl der Erwartung. Wir haben Glück. Auf unserer Wanderung zwischen hundert Jahre alten Baumfarmen, Wildkaffeesträuchern, Orchideen und anderen endemischen Gewächsen können wir ein Gutteil der elf im Park vorkommenden Lemurenarten beobachten.
Majestätische Mondlandschaft
Der Isalo Nationalpark liegt im südlichen Hochland, auf halber Strecke zwischen Fianarantsoa und unserem Ziel am Indischen Ozean. Die Kulisse entlang der RN7 ändert sich drastisch. Überall weiden große Zebu-Herden. Dann umfängt uns eine Berglandschaft aus zerklüfteten Sandsteinfelsen. Unser Guide gehört der Volksgruppe der Bara an und heißt Dauphin. Für alle 1.100 Pflanzen- und 82 Vogelarten, die im Park vorkommen, wird die dreistündige Wanderung wohl nicht reichen. Immerhin schaffen wir es bis zu einem paradiesisch anmutenden Süßwasserbecken, das von einem Wasserfall gespeist wird, und dürfen einer Gruppe Ringelschwanzlemuren beim Herumtollen zusehen. So nebenbei erzählt Dauphin auch von den Problemen, die sein Land hartnäckig quälen, an erster Stelle ist das die Korruption, aber auch illegale Abholzung und die berüchtigten Brandrodungen machen dem Naturschützer Sorgen.
Natürlich nachhaltig
Wie in einem Roadmovie geht es nun meist schnurgerade die Südroute entlang, vorbei an den bunt bemalten Grabstätten des Mahafaly-Volkes, und durch die gesetzeslosen Dörfer der Saphirschürfer. Das Land ist nun flach und weit. Hie und da hebt sich ein Baobab vom Horizont ab. In Tulear erreichen wir das Ende der RN7. Noch eine Stunde Fahrt entlang der Küste ist es bis zu unserem Ziel, dem Strandort Ifaty. „Wir wollen erreichen, dass die lokale Bevölkerung sich selbst entwickeln kann“, erklärt dort der engagierte Manager des nach allen Regeln der Nachhaltigkeit gebauten und geführten Hotels Solidaire Mangily. Die Einkünfte des aus zehn Bungalows bestehenden Hotels fließen in die Bildungs- und Umweltschutzprojekte der Nicht- Regierungs-Organisation Bel Avenir. Damit trägt es wesentlich dazu bei, den Lebensstandard der Menschen in den umliegenden Dörfern zu heben und sie in Kontakt mit Besuchern aus aller Welt zu bringen. Ein sympathisches Hotel, das sich auch für Gäste mit kleiner Geldbörse eignet und ein würdiger Abschluss für die Reise durch die einzigartige Insel, in die ich nun vollends verliebt bin.
Infos & Links
Flug: mit Ethiopian Airlines www.ethiopianairlines.com
Deutschsprachiger Veranstalter: www.authentic-madagascar-tours.com
Unterkünfte:
Antananarivo/AS Guesthouse: www.guesthouse-antananarivo.com
Ranomafana Nationalpark/Setam Lodge: www.setam-lodge.mg
Isalo Nationalpark/Hotel Le Relais de la Reine: www.lerelaisdelareine.com
Ifaty/Hotel Solidaire Mangily: www.hotelsolidairemangily.com