Unqualifizierter Zutritt verboten: Ein „Führerschein“ fürs Reiseziel

Sticker - Berlin doesnt love you - flickr antjeverena/5751212722

Protestierende Lagunenbewohner in Venedig, „Tourists go home“-Graffitis in Barcelona und „Berlin does not love you“-Sticker: Der ungebremste Touristenstrom ist weltweit vielerorts ein Reizthema. Im Englischen macht momentan der Begriff „Overtourism“ die Runde, um dieses Zuviel zu beschreiben. Das Konzept der Tragfähigkeitsgrenzen touristischer Destinationen gewinnt anscheinend wieder an Interesse. Eigentlich war dieses schon als unzeitgemäß abgetan, weil sich mit klugem Management die meisten negativen Folgen abfedern lassen würden. Technisch, planerisch und vielleicht sogar ökologisch mag dies zwar stimmen, aber nun begehren die Einheimischen auf. Was, wenn die Destinationen nicht mehr jeden reinließen?

Foto: "Berlin does not love you sticker" credit https://www.flickr.com/photos/antjeverena/5751212722

Der Gedanke klingt im ersten Moment bizarr: Menschen müssen eine Berechtigung nachweisen, bevor sie ein bestimmtes Urlaubsziel aufsuchen dürfen. Der Kanon der Bedenken wäre vielstimmig: Reisefreiheit, Datenschutz, Eingriff in die Privatsphäre, gar die Unantastbarkeit der Menschenwürde kämen wohl zur Sprache. All diese Argumente würden – in guter alter Tradition – auf der Grundannahme fußen, dass die Welt den (westlichen) Touristen zur Besichtigung offensteht, solange die Bezahlung stimmt. Eine gleichberechtigte Stimme der lokalen Bevölkerung wäre hingegen ein Novum.

Exklusivität, unabhängig von Geld und Zeit

Zugangsbeschränkungen gibt es schon seit Menschengedenken: Einen Urlaub muss man sich leisten können, sowohl zeitlich, als auch finanziell. Der Transport zum und der Aufenthalt am Reiseziel sind mit Kosten verbunden. Aber selbst ohne Geld und Zeit gibt es infolge digitaler Vernetzung Zugangsbarrieren: Auf Hospitality Exchange-Plattformen können Gastgeber anhand der Gästeprofile entscheiden, ob sie ihre Gastfreundschaft zusagen oder lieber nicht. Was diese Webseiten in kleinem Maßstab bereits umsetzen, ist technisch auch für andere touristische Leistungsträger machbar. Für Hotelketten und Mietwagenfirmen sind Kundendatenbanken längst selbstverständlich. Für andere Bereiche sollte – oder könnte zumindest – ein personalisiertes Marketing ebenfalls zum Standard gehören. Sobald dieses System steht, ist betriebswirtschaftlich der Gedanke verlockend, nicht nur die Betthupferl-Präferenz der Gäste zu notieren, sondern auch eventuelles Fehlverhalten. Und natürlich bietet sich eine Klassifizierung der Gäste nach Passgenauigkeit, Loyalität und Finanzkraft an. Ein gesteigerter Yield wird es danken.

Vernetzte Welt und Datenschutz

Dass dieses Datensammeln rechtlich nicht unproblematisch ist, versteht sich von selbst. Nach diversen Ausbaustufen könnten die Daten den direkten Wirkungskreis des sammelnden Unternehmens verlassen. Welcher Anbieter wäre nicht daran interessiert, den potenziellen Kunden schon vor Vertragsabschluss kennenzulernen, und bereit, dafür einen Zugriff auf die entsprechenden Datenbanken zu erwerben? Entsprechende Freizeichnungsklauseln im Kleingedruckten würden viele schnelllesende Kunden vermutlich unbedacht unterschreiben. Die Unschuldsvermutung – „ich habe ja nichts zu verheimlichen“ – in Kombination mit einem lukrativen Bonus-Programm wären wohl Anreiz genug.

Freiwillig zum Zusatznutzen

Als Alternative zum latent anrüchigen Datenhorten bietet sich eine Art Reiseclub an, dessen Mitgliedschaft von bestimmten Zugangsbedingungen wie beispielsweise Referenzen abhängt, und die potentielle Kunden nach Erfahrung, Kenntnisstand oder Verdienst – dies ist keineswegs nur materiell gemeint – in Rangstufen gliedert. Der Besuch in ökologisch oder sozial besonders sensiblen Gebieten wäre zum Beispiel davon abhängig, ob der Reisewillige Fragen zur aktuellen Situation in der Destination beantworten kann oder sich andernorts für derartige Expeditionen qualifiziert hat. Warum sollten Destinationsschulungen, die im Reisebüro gang und gäbe sind, im digitalen Zeitalter nicht auch für den Endkunden zur Verfügung stehen? Was erst einmal utopisch klingt, ist vielleicht eine neue Perspektive auf die Effektivität des Corporate Responsibility-Ansatzes. Statt den Kunden das verantwortungsbewusste Handeln des Unternehmens anzupreisen, würde der Spieß einfach umgedreht: Die Corporates verlangen von ihren zukünftigen Gästen, dass diese mit den hohen Standards mithalten können. Anreiz für die Kunden wäre die Exklusivität, Gewinn für das Unternehmen bzw. die Destination ein passgenauer Kunde und in dessen Fahrwasser ein besserer Ertrag.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.