„Tourismus ist die Kunst, Schwierigkeiten einfach aussehen zu lassen.“ Dieser Satz beschreibt auf simple Weise eines der komplexesten Systeme, das sich in den letzten Jahrzehnten weltweit ausgeformt hat: die organisierte Ortsveränderung von Personen, die sicher und komfortabel andere Länder, Menschen und Sitten kennenlernen können. Es ist ein Erfolgsmodell, das jährlich an Anziehungskraft gewinnt. Dennoch scheuen viele Menschen das Reisen, weil sie sich mit Barrieren konfrontiert sehen, die eigentlich leicht wegzuräumen wären. Ein Plädoyer für mehr Mut zu Inklusion und ein Appell an eine Branche, für die Innovationsbereitschaft eigentlich eine Grundvoraussetzung sein sollte.
Querschnittsgelähmte rasen mit Mountaintrikes oder Mono-Skiern den Berg hinunter, Hörgeschädigte lernen die Gebärdensprache in Kisuaheli, Blinde nutzen Smartphones zur besseren Orientierung. Technischer Fortschritt und die Bereitschaft, Neues auszuprobieren, eröffnen für behinderte Menschen neue Möglichkeiten des Reisens. Eine Schwierigkeit bleibt jedoch: Die mangelnde Kooperationsbereitschaft von touristischen Anbietern, die sich nur schlecht vorstellen können, was mit einer Behinderung möglich ist und was nicht.
Weit mehr als eine Randgruppe
Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: etwa 1 Milliarde Menschen, das entspricht 15 Prozent der Weltbevölkerung, lebt mit einer Behinderung. Das ist beileibe keine Nische, auch wenn diese Zielgruppe bisher fast ausschließlich von Spezialveranstaltern angesprochen wird. Das Paradoxon: Nicht jeder Mensch, der behindert ist, möchte sich auch immer einer Spezialbehandlung unterziehen. Der Wunsch, am „normalen“ Leben weitestgehend teilhaben zu dürfen, ist ebenso verständlich wie berechtigt. Seit seinem Inkrafttreten im Mai 2008 verbrieft ein Übereinkommen der Vereinten Nationen die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Darin heißt es: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen, gleichberechtigt mit anderen am kulturellen Leben teilzunehmen, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen […] Zugang zu Orten kultureller Darbietungen oder Dienstleistungen, wie Theatern, Museen, Kinos, Bibliotheken und Tourismusdiensten, sowie, so weit wie möglich, zu Denkmälern und Stätten von nationaler kultureller Bedeutung haben.“
Mitdenken ist angesagt
Es ist eine Tatsache, dass es bis zur Umsetzung dieser Konvention noch ein weiter Weg ist. Infrastruktur muss barrierefrei umgestaltet und Prozesse an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung angepasst werden. Das kostet Geld und Mühe. Doch der Aufwand ist nur ein Aspekt. Vielfach scheint mangelndes Problembewusstsein der weitaus größere Hemmfaktor zu sein. Wenn ein neu gebautes Hotel mit großzügigen Zimmern aufwartet, die alle räumlichen Voraussetzungen aufweisen, einen Gast im Rollstuhl zu beherbergen, die schmale Tür aber den Zugang zum Zimmer verwehrt, dann sind weder Mehrkosten noch Bestandsschutz das Problem. Die mangelnde Zugänglichkeit verdankt sich einzig dem fehlenden Problembewusstsein von Architekten und Investoren. Es ist bedenklich, wenn ein Hotelier eingestehen muss, dass er einer Gruppe von 40 Gästen absagen musste, einzig weil drei der Gäste auf einen Rollstuhl angewiesen sind.
Mit allen Sinnen erleben
Analog verschenken Destinationen ihr Potenzial. Wer jemals mit einem blinden Menschen einen Stadtrundgang gemacht hat, der weiß Geräuschkulisse, Gerüche und erfühlbare Gegenstände zum touristischen Potenzial zu zählen. Es gibt kaum ein Zielgebiet, das hier nicht wertvolle Angebotselemente ungenutzt lässt. Die Attraktionen sind vorhanden, was fehlt, ist der Blick für das Unsichtbare. Wie riecht meine Destination, wie fühlt sie sich an, welche Klänge sind typisch? Hinter solchen Fragen verbirgt sich weit mehr als die Sonderbehandlung einer Randgruppe. Progressive Destinationen wären klug beraten, mehr Energie darauf zu verwenden, mit allen Sinnen erlebbar und damit interessant für Alle zu werden. Die Zutaten sind vorhanden, die nachfragenden Gäste auch. Was fehlt, ist der Mut, Dinge neu zu betrachten und die Barrieren im Kopf abzubauen.
Info: www.accessibletourism.org