„Seit 1000 Jahren gibt es dieses Kloster schon“, erzählt der Mönch. Er sieht mich an. Ich blicke auf den Innenhof dieses gewaltigen Bauwerks und fühle mich winzig klein. In dieser Nacht werde ich der einzige Ungläubige im Kloster Iviron sein, der hier übernachtet.
Der zuständige Pater hat mir ein Einzelzimmer gegeben. Das Zimmer ist schlicht, aber top-gepflegt: ein Bett, ein Tisch, ein Sessel – keine Waschgelegenheit. Diese ist draußen am Ende des Ganges. Man teilt sie sich mit ungefähr 50 anderen Pilgern. Mein Zimmer verfügt über einen Balkon in sehr luftiger Höhe. Von dort sieht man über die Felder. Das Wichtigste nach der Ankunft ist der Zeitplan.
Da heute Pfingstsonntag ist, wird es einen kurzen Gottesdienst um 18 Uhr geben, dann folgt das Abendessen im Refektorium, und anschließend beginnt ohne Pause die Pfingstandacht bis halb zwei Uhr nachts. In der Klosterkirche gibt es nur Kerzenlicht. Ich verlasse die nahezu komplett verdunkelte Kirche gegen Mitternacht. Die Gesänge der Mönche haben mich berührt. Ich falle ins Bett.
Um 6.30 Uhr gibt es die Morgenliturgie mit anschließendem Frühstück. Dann sollte ich das Kloster langsam verlassen. Mein Freund Stelios hat mir die Unterkünfte in der Mönchsrepublik organisiert. Im Februar hatte ich das Pilgerbüro kontaktiert und nach dem frühestmöglichen Einreisedatum gefragt, da nur zehn nichtorthodoxe Pilger pro Tag einreisen dürfen. „Sie können am 29. Mai für drei Nächte in Athos bleiben“, erklärte mir der Sachbearbeiter, nachdem ich ihm die Bildseite meines Reisepasses gemailt hatte. „Die 35 Euro für das Diamonitirion (Einreisegenehmigung) sind im Pilgerbüro in Ouranoupolis zu bezahlen“, ergänzte er.
Viele Vorbereitungen für einen kurzen Aufenthalt
Als ich in Ouranoupolis – dem letzten griechischen Örtchen auf der Halbinsel Athos – ankomme, regnet es stark. Gottseidank habe ich vorab eine Unterkunft gebucht. Bei Stelios, in seinem kleinen, aber feinen Hotel Makedonia. Stelios ist der Chef. Er ist sehr besorgt um das Wohl seiner Gäste, und er ist ein gesprächiger Typ. Ende Mai ist hier noch nicht wirklich viel los. Im Gespräch mit ihm erfahre ich die wichtigsten Versäumnisse meiner Vorbereitungen. „Du musst dich in den Klöstern vorher anmelden, weil du als Nicht-Orthodoxer nur eine Nacht bleiben kannst“, erklärt er mir und greift in dem Moment zum Hörer.
Nach drei Stunden hat er zwei meiner drei Nächte organisiert. „Pater Gregorius hat mich gefragt, ob der Österreicher nicht auch Schokolade mitgebracht hat“, sagt Stelios. Ich lache, denn zufälligerweise steckt in meinem Rucksack eine ungeöffnete Tafel Schokolade, die ich für alle Fälle mitgenommen habe. „Die erste Nacht musst du im Skiti Agios Andreas (Skiti =Mönchsdorf, Anm.) nachfragen, ob sie dich dort aufnehmen“, erklärt mir Stelios. „Die anderen beiden Nächte bist du versorgt. Die zweite Nacht verbringst du in Iviron und die dritte in Agios Pavlou.“ Ich bin aufgeregt.
Die Abreise zum Heiligen Berg
Am Morgen des 29. Mai gehe ich nach der Abholung meines Diamonitirions und dem Erwerb des Schiffstickets zum kleinen Hafen und warte erstmals. Hunderte Menschen bevölkern plötzlich den kleinen Pier. Mit Waren beladene Lastwagen hupen sich auf die Fähre, dazu kommen unzählige Pilger aus allen möglichen Ländern und Mönche, die wieder in ihre Klöster zurückkehren. Irgendwann setzt sich das Schiff in Bewegung. An Deck sitzen US-amerikanische griechisch-orthodoxe Pilger neben mir. Sie kommen aus Tennessee und Minnesota und werden zehn Tage lang in einem der 20 Klöster von Athos verbringen. Da sie Gläubige sind, dürfen sie länger bleiben.
Das Schiff fährt die Halbinsel entlang, und nach einer halben Stunde tauchen die ersten Klöster auf. Gewaltige Festungen, die in den vergangenen Jahrhunderten Angriffen von Piraten und Plünderern standgehalten haben. Bei jedem dieser riesigen Klöster legt das Schiff an. Pilger und Patres gehen von Bord, an manchen Stationen kommen auch neue Passagiere. Die Stimmung ist gut. Im Stimmengewirr vernehme ich neben der serbischen auch die russische Sprache. In der kleinen Hafenstadt Dafni ist die Fahrt für die meisten zu Ende. Heerscharen von Passagieren verlassen das Schiff. Es beginnt zu regnen.
Mit einem alten deutschen Autobus, der noch deutsche Hinweistafeln aufweist, zuckeln wir die steile Bergstraße in die Hauptstadt Karyes. Das ist das Herz der Inselrepublik. Hier ist die Hierá Sýnaxis – das heilige Parlament der Mönchsrepublik – gleich unmittelbar neben der großartigen Protaton-Kirche. Kurz nach Ankunft des Busses herrscht in den Gassen von Karyes buntes Treiben. Doch nur wenige Augenblicke später kehrt der himmlische Friede wieder ein. Ich erwerbe beim Bäcker einen Laib Brot und im MiniSupermarkt eine Flasche Wasser sowie die letzte Dose kaltes Bier. Am Hauptplatz vor der Kirche paaren sich zwei Katzen. Sie sind übrigens die einzigen weiblichen Wesen, die hier erlaubt sind.
„In den Skitis brauchst du keine Anmeldung. Da gehst du einfach hin und fragst nach“, erklärt mir Andreas, ein rumänischer Pilger, der im Bus neben mir sitzt. Ich schlage den Weg zum Skiti Agios Andreas ein, das unmittelbar vor den Toren von Karyes liegt. Im Klosterladen frage ich den alten Pater, ob er mir Herberge gewährt. Ich muss mein Diamonitirion zeigen, und dann bekomme ich ein kleines Zimmerchen. Die Unterkunft kostet nichts. Um 16 Uhr ist Abendessen. In einem riesigen Saal stehen die Langbänke bereit. Nach dem Tischgebet herrscht Stille. Man hört nur noch das Klappern des Bestecks in den Metallschüsseln. Es gibt Tomatennudelsuppe, Feta, Oliven, Brot und einen Apfel, dazu Wasser. Fleisch gibt es auf ganz Athos nicht.
Nach dem Essen unterhalte ich mich mit José, einem jungen Spanier, der seit zwei Tagen in Athos ist und der seinen Aufenthalt morgen abbrechen will. Er ist in einem Schlafsaal mit 12 serbischen Pilgern untergebracht. Um 20 Uhr werden die Klostertore geschlossen. Dann beginnt die Nachtruhe. Um 4 Uhr morgens ist Tagwache, um 5 beginnt in der riesigen Kirche der Gottesdienst, der bis 8 dauert. Dann gibt es Frühstück. Ehe ich das Skiti verlasse, verabschiede ich mich von dem alten Mönch, der mich gestern willkommen hieß. „Danke, dass ihr mich aufgenommen habt“, sage ich. Der alte Mann mit dem langen weißen Rauschebart umarmt mich und wünscht mir eine gute Reise.
Der Fußweg nach Iviron
Am Tor treffe ich José und gehe mit ihm nach Karyes. Dort wartet sein Bus. „Ich brauche Stadtleben, und ich brauche Fleisch“, sagt er zum Abschied und lacht. Ich mache mich auf den Weg nach Iviron. Zweieinhalb Stunden Fußmarsch liegen vor mir. Ich wandere vorbei am Koutloumousiou-Kloster und durch herrlich unberührte Wälder. Unterwegs lege ich ein Pausen-Picknick im Grünen ein. Gegen 14 Uhr erreiche ich Iviron.
Als ich mich am Nachmittag im Kloster umsehe, gelange ich zu einem Nebengebäude, in dem die sehr verehrte Ikone „Panagia Portaitissa“ – die Gottesmutter von der Pforte – untergebracht ist. Ein Pater nimmt mir die Kamera weg. „Fotografieren darf man hier nicht“, sagt er in akzentfreiem Oxford-Englisch. Wir beginnen uns zu unterhalten. Er war Mikrobiologe an der London University. „Irgendetwas hat mir in meinem Leben gefehlt. Ich war nicht glücklich“, erzählt er. Auf der Sinnsuche ist er hier gelandet. „Heute ist ein Festtag. Es wird ein spezielles Mahl geben.“ Tatsächlich gibt es zwei Stunden später eine gebratene Brasse und in Olivenöl geschwenkte Kartoffeln, dazu den obligaten Feta, Brot und einen naturbelassenen, sauren Rotwein. Den Pater habe ich nicht mehr zu Gesicht bekommen. Auch nicht, als ich Iviron am nächsten Morgen nach meiner Verabschiedung den Rücken kehre. „Du kannst mir schreiben. Ich weiß aber nicht, ob ich antworten werde“, waren seine letzten Worte.
Strenge Regeln in Agiou Pavlou
Der Weg ins Kloster Agious Pavlou ist weit. Ich kann nicht wandern, sondern muss mit dem Bus über Karyes nach Dafni und von dort mit dem Schiff anreisen. Das Kloster liegt am Fuß des 2033 Meter hohen Heiligen Berges Athos. Die gewaltige Naturkulisse mit einem reißenden Wildbach vom hoch aufragenden Berg ins Meer ist beeindruckend. Diesmal sind zehn ukrainische Pilger und ein Doktor med. aus Memphis mit seinem Sohn unter den Gästen. Ich teile das Zimmer mit den beiden Amerikanern.
Gleich nach der Ankunft – man wird mit kaltem Wasser, Lukumi-Würfeln und Ouzo begrüßt – erklärt mir der zuständige Mönch, dass ich als Ungläubiger nur im hintersten Teil der Kirche stehen und im Refektorium nicht mit den anderen sitzen dürfe. Zudem werde ich darüber aufgeklärt, religiöse Handlungen, wie etwa das Küssen der Ikonen, zu unterlassen. Auch das Bestechungsgeschenk an den Pater – die Tafel Schokolade – ändert nichts daran. Vielmehr scheint dieser Pater aufgrund seiner Leibesfülle nicht gerade einen guten Ruf unter den asketischen Mönchen zu haben. Um 17 Uhr findet eine Messe statt, daran anschließend Abendessen im Refektorium.
Peinlichst wird darauf geachtet, dass ich nicht mit den anderen Gläubigen am Tisch sitze. Streng ist auch der Ablauf beim Essen: Erst als der Abt mit seinen Patres den Speisesaal betritt und Platz nimmt, dürfen sich auch alle anderen setzen. Ein Mönch liest von einer Kanzel aus in der Bibel, während wir unseren Festtagsfisch, diesmal auf einem Bett aus roten Rüben, essen. Dazu gibt es wieder Brot, Feta und Wein und – zur Feier des Tages – Baklava als Dessert. Da der Abt schneller als erwartet mit der Mahlzeit fertig ist, muss ich mein Baklava in meine Serviette packen und es im Freien essen.
Zwischen dem Abendessen und dem Versperren der Klostertüren unternehme ich einen kleinen Spaziergang in der Umgebung. Wie in jedem anderen Kloster gibt es auch hier einen Shop, in dem Heiligenbilder und Ikonen verkauft werden. Pünktlich um 20 Uhr schließt er. Dann ist Abendruhe, denn um vier Uhr morgens ertönt das Schlagen der hölzernen Trommel zur Tagwache. Um fünf Uhr beginnt der Gottesdienst. Es ist der letzte Pfingstfeiertag. Um acht Uhr gibt es Frühstück, mit der gleichen Prozedur wie gestern Abend. Heute teile ich den Tisch mit albanischen Arbeitern, die zwar dergleichen Kongregation angehören, die aber keine praktizierenden Orthodoxen sind. Es gibt Fischrisotto und Wein. Das Essen schmeckt köstlich. Der Aufbruch erfolgt abrupt. Ich verabschiede mich, nehme den Bus zum Hafen, warte auf mein Schiff und freue mich irgendwie auf die Rückkehr in die zivile Welt.
Text & Fotos: Wolfgang Weitlaner
INFO
Die Halbinsel Athos ist ein wunderschönes Urlaubsziel mit herrlichen Badebuchten, vorgelagerten Inseln und glasklarem Wasser sowie einer hervorragenden Küche.
Ein Besuch des Berges Athos ist nur Männern möglich. Um ein Diamonitirion, wie die Einreiseerlaubnis heißt, zu erhalten, muss man sich mit dem Pilgerbüro in Verbindung setzen: Mo–Fr 09–14 Uhr unter Tel (0030) 2310 252578 E-Mail: athosreservation@gmail.com
Von Ouanoupolis aus gibt es Ausflugsschiffe, die die Küste entlangfahren und Blicke auf die beeindruckenden Klöster – die übrigens als Unesco Weltkulturerbe gelistet sind – erlauben. Ein solcher Ausflug ist lohnenswert.
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