“Warst du bei den Gorillas?” ist die unumgängliche Frage, die jedem gestellt wird, der aus Ruanda zurückkommt. Natürlich. Wer würde sie nicht sehen wollen, die mächtigen Silberrücken und ihre Familien? Doch beschränkte Kapazitäten, der stattliche Preis von 750 US-Dollar für eine Stunde mit den Gorillas sowie die ebenso wohlfeilen Hotelpreise schrecken so manchen Naturliebhaber ab.
Dem Menschen genetisch näher und ähnlich aufregend wie Berggorillas sind die Schimpansen, zu denen entspannte Trekkingtouren im Nyungwe Nationalpark im Südwesten von Ruanda führen. In dem erst seit 2005 offiziell geschützten rund 1.000km² großen Gebiet wandert man durch einen der letzten und ältesten Gebirgsregenwälder Afrikas. Seine imposanten Baumfarne, Bambuswälder, uralten Mahagoni- und Ebenholzbäume dienen als Rückzugsgebiet für eine bunte Vogelwelt, aber vor allem für Schimpansen und ein Dutzend anderer Primatenarten.
Wie eine Oase nimmt sich der Nationalpark in der abwechslungsreichen Kulturlandschaft aus, die Feld an Feld, Hütte an Hütte die steilen Hügeln des Landes überzieht. Internationalen und lokalen Primatenforschern ist es in langjähriger Arbeit gelungen, drei Gruppen der in Nyungwe lebenden 400 bis 500 Schimpansen an die Anwesenheit von Menschen zu gewöhnen. Maximal acht Besucher pro Tag und Gruppe können an dem Programm teilnehmen. Eine der Gruppen lebt in Cyamudongo. Dieser abgespaltene Teil des Nationalparks liegt wie eine kleine Insel inmitten von Feldern und kleinen Bauernhöfen und zeigt die prekäre Situation, in der sich alle Naturschutzgebiete des überbevölkerten Landes befinden.
Keuchen kommt vor dem Fall
Gestützt auf zwei handgeschnitzte Stöcke und in voller Wanderausrüstung lehne ich am Abhang und warte bis mein Atem mich wieder einholt. Hinter mir keucht es auch gewaltig. Vier Briten – der Rest meiner Reisegruppe – kämpfen hörbar mit den rund 2.000 Höhenmetern, die sie nun höher sind als in ihrer Heimat. So sehr mir der lange Winter im Waldviertel auf die Nerven geht, diesmal ist meine Wohnlage auf 700m von Vorteil. Das Terrain im Nebelwald ist steil und schwierig. Gestampfte nasse Walderde kann rutschiger sein als Glatteis, lerne ich bald. Unsere Bergführer Kambogo und Ang in der grünen Uniform des Nyungwe Nationalparks tragen nur Gummistiefel. Sie sind weder außer Atem noch rutschen sie auf dem schlitzigen Grund jemals aus. Nach kurzem Funkkontakt treffen wir auf die Spurensucher, und unsere Guides stürzen sich mit einem „Come on!“ die steile Böschung hinunter. Wir folgen – deutlich weniger elegant – durch mannshohe Brennnessel und über feuchte Bambusstämme, die kaum Halt bieten. Ich frage mich ernsthaft, was ich eigentlich hier mache, ehe ein hinterlistiger Bambus mir das Bein stellt und ich den Schlamm küsse. Nicht zum letzten Mal, wie sich herausstellen soll.
Bis auf die gelegentlichen Hilfeschreie der Trekking-Teilnehmerinnen, denen die Guides galant über die Hürden helfen um sie vor allzu vielen Stürzen zu retten, ist es relativ still im Regenwald. Mit einem Mal ertönt Schimpansengeschrei, eine Welle von tiefen, kurzen Lauten, die immer höher, länger und lauter werden, bis sie in ein Gekreische ausarten. Wir sind auf der richtigen Spur. Die Schimpansenfamilie kann nicht mehr weit weg sein. Ich verdränge den Gedanken an den unvermeidbaren, mühsamen Aufstieg und stürze mich hinter den anderen noch tiefer den Abhang hinunter. Mit jedem Schritt wird es aufregender. Endlich finden wir eine Lichtung mit freiem Blick auf Judy und Konsorten, die sich in wilden Schwüngen von Baum zu Baum üben. Jetzt weiß ich, was ich hier mache – meine Kamera klickt bis der Speicher blinkt.
Mitten im Tee
‚Nyungwe Nziza’ steht auf unserem Landcruiser. Schönes Nyungwe. Über und über mit Schlamm bespritzt aber glücklich bringen uns die Parkaufseher wieder in unsere komfortable Herberge zurück. Mit der Nyungwe Forest Lodge eröffnete 2010 die erste Fünfstern-Unterkunft der Region. Die nach strengen ökologischen Richtlinien gebaute und betriebene Lodge lugt am westlichen Rand des Nationalparks aus dem hellen Grün einer Teeplantage hervor. Mein Zimmer liegt einen zehnminütigen Spaziergang vom Hauptgebäude und 50m vom nächsten Cottage entfernt. Während ich auf Schimpansensuche war, hat sich eine Familie von Meerkatzen auf meinem Balkon niedergelassen. Ihre Mitglieder machen einen Heidenlärm während sie hingebungsvoll mit der Wäsche spielen, die ich nach dem gestrigen Ausflug zu einem Wasserfall und der Kongo-Nil-Wasserscheide zum Trocknen aufgehängt hatte. Ich befreie mich von den schlammigen Kleidern, die an mir kleben und trete in der Unterwäsche auf den Balkon, um die Affen zu verscheuchen. Hinter mir fällt die Tür ins Schloss. Eineinhalb bange Stunden und eine peinliche Rettungsaktion später spaziere ich unter einer Kuppl von Sternen zum Restaurant. Jonny, unser Kellner, weiß Bescheid und serviert mir erst einmal zur Stärkung eine Flasche kühles Mützig Bier, gebraut in Ruanda. Langsam fasse ich wieder Mut: morgen geht es auf den schwindelerregenden Baumkronenweg über eine 40m hohe Hängebrücke über das Blätterdach des Regenwaldes und danach zum Ursprungs des Nils, der in Form eines zarten Bächleins in Nyungwe seinen Anfang nimmt.
Öko: logisch!
Die Entwicklung von nachhaltigem Tourismus rund um den Nationalpark ist ein wichtiges Element im Konzept des Rwanda Development Board (RDB), das unter anderem in Kooperation mit der amerikanischen Bundesbehörde für internationale Entwicklung, US-Aid, umgesetzt wird. Zu den wichtigsten Projekten zählen die Kitabi Handwerkskooperation sowie die Dorftourismus- und Kulturprojekte in Banda und Cyamudongo, mit denen hunderte Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung geschaffen wurden. Das ‚Friends of Nyungwe’ Cultural Village in Kitabi erweckt im Rahmen eines kleinen Freiluftmuseums das Leben zu Zeiten der letzten Könige wieder. Reisenden stehen neben einem Restaurant und einer Bar auch ein Campingplatz und traditionelle Grashütten zum Übernachten zur Verfügung.
Gorillas ohne Mist
Im Gegensatz zu vielen der beliebten afrikanischen Reiseziele im Süden des Kontinents – und trotz der Horden von Touristen aus aller Welt, die regelmäßig zum Gorilla-Trekken in den legendären Virunga Mountains von Dian Fossey antreten – vermittelt das Ruanda von heute ein noch sehr ursprüngliches Bild von Afrika in der raren Verknüpfung mit politischer Stabilität. 5% der Tourismuseinnahmen fließen in Projekte, die den Dörfern rund um die Nationalparks zugute kommen. Zudem ist es sowohl in den ländlichen Gebieten wie auch in den Städten des Landes sauberer als mancherorts in Europa. Kein Wunder, Plastiktaschen sind gesetzlich verboten und einmal im Monat ist nationaler Putztag, bei dem alle Bürger Besen und Schaufel in die Hand nehmen.
Infos
Mit mehr als acht Millionen Einwohner auf nur 26.000km2 ist Ruanda der am dichtesten bevölkerte Staat Afrikas. Nach dem Volcanoes Nationalpark mit seinen Berggorillas und dem wildreichen Akagera Nationalpark ist Nyungwe (www.nyungwepark.com) der jüngste Nationalpark des Landes. Mit 300 Vogelspezies, 75 Säugetierarten und hunderten von verschiedenen Schmetterlings- und Orchideenarten gilt der Park als Geheimtipp in Sachen Biodiversität. Die hier beschriebene Recherche-Reise wurde von US-Aid und Qatar Airways (www.qatarairways.com) unterstützt. Weitere Infos zu Ruanda finden sich im Netz unter www.ruanda-tourismus.de oder www.rwandatourism.com. Nyungwe Forest Lodge: www.nyungweforestlodge.com.