Im Gewimmel der Best of-Listen gibt es einige wenige, die Adelstiteln gleichen. Eine davon ist die „Best in Travel“-Liste, mit der der Reisebuchverlag Lonely Planet jedes Jahr die angesagtesten Destinationen kürt. 2015 schaffte es Litauen auf Platz 3. Rebellisch, skurril und lebhaft sei der Baltenstaat – der größte übrigens, flächenmäßig und bezogen auf die Einwohnerzahl. Zu Kurzbesuch in der Baltenrepublik: ein langes Wochenende in der Hauptstadt Vilnius, inklusive einem Ausflug in die litauischen Highlands.
Vilnius, die entspannte Hauptstadt
Die Ankunftshalle am Flughafen von Vilnius ist schon eine Sehenswürdigkeit für sich: eine hohe Stuckdecke, Sockel im griechisch-römischen Stil und Gipsbüsten lassen eher an einen Tempel denken, als an ein Profangebäude der modernen Luftfahrt. Überraschend ist auch die Vilnius selbst. Auf einer Fläche, in der Paris dreimal Platz fände, wohnen gerade einmal 550 000 Einwohner, eine Großstadt ohne Großstadtgefühl. Nachdem Vilnius durch Krieg und Brände Mitte im 17. Jahrhundert fast vollständig zerstört wurde, entstand die größte Barockstadt nördlich der Alpen. Als letzte Region in Europa hatte man das Christentum angenommen, umso zahlreicher und prächtiger stattete man sie in der Folge mit Kirchen aus. Eine Bergbahn führt zur Oberburg, von deren Gediminas-Turm, hoch über der Altstadt, man einen guten ersten Eindruck der wechselvollen Geschichte hat. Kirchtürme stehen neben modernen Business-Gebäuden, ganze Straßenblöcke ausfüllende Palais mit prächtigen Innenhöfen verdeutlichen den Reichtum des Landadels, im Verfall befindliche sozialistische Zweckbauten – mächtige Sportstätten ebenso wie standardisierte Plattenbauten erinnern an die Zeit der sowjetischen Besatzung. Dazwischen weit ausladende Grünanlagen und der Fluss Vilnia, der sich um die neun Hügel schlängelt, auf denen die Stadt erbaut ist. Im Innern des Turms erinnert eine Ausstellung an die über 600 Kilometer lange Menschenkette zwischen Vilnius und der estnischen Hauptstadt Tallin. Der „baltische Weg“ war sichtbares Zeichen der friedlichen Revolution, mit der sich die baltischen Staaten 1991 vom Sowjetreich lossagten. Die sowjetische Besatzung ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte Litauens. Besonders deutlich wird dies im Museum für die Opfer des Genozids, untergebracht im ehemaligen KGB-Gefängnis. Die Litauer lehnten sich lange auf gegen die Fremdherrscher und sie mussten teuer dafür bezahlen – Zehntausende Menschen wurden getötet, über Hunderttausend in die Verbannung geschickt. Zum Glück ist dieses Kapitel nur eines von vielen in der reichen Geschichte Litauens. Die Prachtstraßen, das Ensemble der berühmten Universität, die Marktstände auf dem wöchentlichen Essensmarkt, die reich verzierten Kirchen, die Fröhlichkeit der Menschen und die herzhaften Spezialitäten der litauischen Küche bringen einen schnell auf andere Gedanken.
Eine ganz besondere Republik
Užupis ist eine schöne Idee, mitten in Vilnius. Die Gebäude auf der Halbinsel, auf der anderen Flußseite stehen die Mauern der Altstadt, waren im Krieg teilweise zerstört worden, danach verkam die Gegend zusehends. Nach der Unabhängigkeit besetzten Künstler die leerstehenden Häuser und erweckten Užupis aus seinem Dornröschenschlaf. 1997 beschlossen sie, dass man das Areal vor der grassierenden Modernisierungswelle schützen müsse und riefen kurzerhand die unabhängige Republik Užupis aus, samt eigener Flagge, Verfassung und Präsident. Als Parlamentsgebäude dient ein Caféhaus, Nationalfeiertag ist – treffenderweise – der 1. April.An diesem Tag wird mit einer eigenen Währung gezahlt und an den Zugangsbrücken werden Grenzkontrollen installiert. Aber Užupis ist nicht nur eine Spaßveranstaltung. Als Kunstprojekt wirkt es auch gesellschaftskritisch. Als nicht international anerkannte Republik kann man sich einiges erlauben, was andernorts zu diplomatischen Verwicklungen führen würde: Am Free-Tibet-Square wird an die chinesische Besatzung Tibets erinnert, mehrmals schon war der Dalai Lama auf „Staatsbesuch“. Heute, fast 20 Jahre später, ist Užupis Magnet für Besucher aus aller Welt, für Tagesgäste ebenso wie für „Artists in Residence“. Und obwohl Stimmen zu hören sind, die klagen, Beliebtheit und Ruhm des Szeneviertels bewirkten genau die Entwicklungen, die man ursprünglich verhindern wollte, nämlich steigende Mieten und Bobo-Lifestyle, ist Užupis noch immer ein Ort für alle. Schließlich hat jeder Mensch „das Recht, beim Fluss Vilnia zu leben, und der Fluss Vilnia hat das Recht, an jedem vorbeizufließen“. So steht es in der Verfassung.
Das Land der Seen
Schon beim Anflug auf die litauische Hauptstadt waren aus dem Flugzeugfenster die endlosen Weiten sichtbar geworden. Auch das ist Litauen: viel Natur, Felder, Wälder und Wiesen, dazwischen Seen in allen Größen und Flüsschen, die gemütlich durch die Gegend mäandern. Von Vilnius fahren wir, vorbei an der geographischen Mitte Europas bei Purnuškes, nach Norden. Die Landschaft ist leicht hügelig, zwischen den Waldstücken tauchen hölzerne Bauernhäuschen auf, im Garten stehen kleine Gewächshäuser, auf den Schornsteinen nisten Störche. Hochlitauen, die „Highlands“ des Baltenstaats, ist ein idyllischer Fleck Welt. Kaum größer könnte der Kontrast sein, der uns beim Dorf Kulionys erwartet. Wie ein riesiges Raumschiff steht das Gebäude des Ethnokosmologischen Museums in der Landschaft. Das Konzept ist einzigartig: Hier werden die Beziehungen des Menschen zur kosmischen Welt erforscht. Es geht um nicht weniger als um die uralte Frage nach dem Sinn: Wieso existiert der Mensch in einem so unglaublich großen Universum? Kultgegenstände, Kalender und Sternenkarten verdeutlichen die Jahrtausende alte Wechselbeziehung des Menschen mit dem Kosmos. Rund um das Dorf Paluše erstreckt sich der Nationalpark Aukštaitija. Durch die Wälder erstreckt sich ein Wasserwegenetz aus miteinander verbundenen Seen, auf dem man auch einige Tage lang per Kanu unterwegs sein kann. Die Dörfer sehen aus wie Freilichtmuseen, zwischen alten Holzhäusern stehen Totem-ähnliche Schreine als Ersatz für eine Kirche, die es in vielen kleinen Weilern nicht gibt. Manchmal verzieren unterhalb der Heiligenstatue noch Eichenblätter, Ringelnattern und Sonnensymbole die Pfosten, Überreste heidnischer Symbolik. Die spirituelle Verbindung zur Natur hat sich bis heute erhalten. Das erklärt die Beliebtheit des Aussichtspunkts Ladakalnis, von dem aus man sechs Seen überblicken kann. Die Geschichte der Göttin Lada, der Schöpferin der Welt, lernt auch heute noch jedes Kind in der Schule.
Info-Kasten
Informationen über Land und Leute, Reiserouten und Unterkunftsmöglichkeiten sind zusammengestellt auf www.lithuania.travel/de
Der Öko-Hof Ievalaukis bietet Übernachtungen in kleinen Bungalows mit eigener Küche, die Sauna am See wir auf Wunsch gerne eingeheizt. www.ievalaukis.lt
Wer litauische Spezialitäten wie die kalte Rote-Beete-Suppe selbst nachkochen will, erhält fachgerechte Anleitung im Kochstudio von Adas Žalinas. www.ciopciop.lt
Alles rund um den Nationalpark Aukštaitija steht unter https://www.aparkai.lt
Die Reise fand statt auf Einladung des litauischen Fremdenverkehrsamtes www.lithuania.travel