Deutsch-Weißkirch: Zwischen Pferdewagen und Mobiltelefon

Auf einem Hügel über Weißkirch thront die malerische Kirchenburg

Mitten in Transsilvanien, das bei den deutschsprachigen Rumänen Siebenbürgen heißt, hat ein verschlafenes kleines Dorf zu einer neuen Identität gefunden. Siebenbürger Sachsen, Roma, Ungarn und Rumänen haben ihm mit vereinten Kräften in den vergangenen 20 Jahren wieder Leben eingehaucht und schafften einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung  – nicht zuletzt durch sanften Tourismus.

Fast wie vor hundert Jahren

Eine Herde aus Kühen und Ziegen trottet die Dorfstraße von Weißkirch hinunterMeine Augen sind noch fest zu. Der selbstgebrannte Zwetschgenschnaps vom Vorabend schmeckt in der Reprise nicht mehr ganz so gut. Es  hört sich an, als ob eine ganze Herde an meinem Fenster vorbeitrampeln würde. Im Halbschlaf klettere ich aus meiner Lade, denn die Altvordern der Siebenbürger Sachsen schliefen tatsächlich in einer Art Kommode, aus der – vermutlich je nach Anzahl der Kinder – weitere Bettladen herauszuziehen waren. Als ich das Fenster öffne, schlägt mir warmer Dorfgeruch entgegen, und im Licht der aufgehenden Sonne traben wirklich zwei Dutzend Kühe und ein paar Ziegen die Dorfstraße hinunter. Ab und zu bleibt die eine oder andere Kuh stehen um sich an einem Grasbüschel zu stärken. Ein Pferdewagen biegt um die Ecke. Wäre da nicht das eine Auto, könnte die Szene auch vor hundert Jahren spielen.

Ein Dorf  – viele Kulturen

Eines der liebevoll restaurierten Bauernhöfe von Deutsch-WeißkirchSchon seit dem 12. Jahrhundert siedelten deutschsprachige Einwanderer in Transsilvanien. In der Amtssprache der damaligen ungarischen Herrscher unter dem Sammelbegriff „Sachsen“ zusammengefasst, wanderten sie aus verschiedenen Teilen des deutschen Reiches, und später auch aus der Donaumonarchie ein. Einerseits trieb sie die Suche nach einem besseren Leben in den Süden, andererseits folgten sie der Einladung des ungarischen Königs Geysa II, der sie als „Bollwerk“ gegen den Einfall von Tartaren und Mongolen sah. Nach einer bewegten Geschichte und dem harten Leben im kommunistischen Rumänien verließen die meisten Siebenbürger Sachsen gleich nach der rumänischen Revolution das Land um sich in Deutschland, Österreich, den USA oder Kanada eine neue Existenz zu suchen. In die verlassenen Bauernhäuser zogen bald danach Rumänen, Ungarn und Roma ein. So auch in Weißkirch, wo sich anfangs der 90er-Jahre die wenigen verbliebenen Deutschsprachigen plötzlich Tür an Tür mit den neuen Dorfbewohnern fanden. Alle mussten sich an die neue Situation gewöhnen, doch brachte das miteinander arbeiten und leben verschiedener Kulturen in Transsilvanien noch nie ein großes Problem mit sich.

Pferdewagen mit winkendem MannMit Unterstützung der britischen Mihai Eminescu Stiftung gelang es der neuen multikulturellen Einwohnerschaft die historischen Bauten des Dorfes zu restaurieren und dem Erbe und der Kultur der deutschen Gründerväter einen würdigen Platz einzuräumen. Um die Häuser stilgerecht zu renovieren, wurden die geschicktesten Neo-Weißkirchner von englischen Fachleuten in die alten Handwerkskünste eingewiesen und konnten sich Fertigkeiten erwerben, die in der kommunistischen Ära verschütt gegangen waren. Traditionelle Materialien wie Kalk, Lehm, Sand, Stein und Holz sind seither wieder im Einsatz. Längst gibt es auch wieder einen Schmied im Dorf, ebenso wie gut ausgebildete Tischler, Zimmerleute und Maurer. Die schöne Kirchenburg und der Ortskern zählen seit 1999 zum UNESCO Weltkulturerbe. Heute hat der Ort mehr als 400 Einwohner, die mit großem Stolz von ihrem Dorf sprechen, egal ob sie es auf Rumänisch Viscri nennen, auf Deutsch Weißkirch oder auf Ungarisch Szászfehéregyháza.

Was auf den Tisch kommt

Ein Teller mit RouladenZurzeit haben zwölf Familien ihre Häuser für Gäste geöffnet. So wie auf den Wäscheleinen in den Gärten nagelneue Handtücher aus buntem Frottee neben den traditionell gewebten im Wind wehen, sind die liebevoll restaurierten Bauernhäuser zwar mit alten Bauernmöbeln eingerichtet und mit bestickten Deckchen und Pölster verziert, doch mit modernen komfortablen Badezimmern ausgestattet. Ähnlich verhält es sich mit den  Weißkirchnern: einerseits schätzen sie ihr gemächliches Dorfleben im Rhythmus der Natur, andererseits legen sie hohen Wert auf ihre Mobiltelefone, Laptops und das Kabelfernsehen in der Bei den Mahlzeiten sitzen die Gäste mit den Gastgebern an einem TischKüche. Apropos: bei einem Urlaub in Deutsch-Weißkirch ist es ganz normal, bei Siebenbürger Sachsen zu frühstücken, sich den Mittagstisch mit rumänischen Gastgebern zu teilen und danach den Kaffee samt Kuchen bei einer Roma Familie zu genießen. „Das ist die beste Gelegenheit sich näher kennen zu lernen und miteinander ins Gespräch zu kommen“, erklärt mir einer der Gastgeber. Serviert werden traditionelle Spezialitäten, wie zum Beispiel „Sarmale“, köstlich gefüllte  Krautrouladen. Zwar bekommen alle Gäste das gleiche auf den Teller, doch die Zutaten stammen durchwegs aus den Gärten und Höfen des Ortes.

Alles nur kein Museum

Eine Köhlerin vor einem rauchenden Haufen HolzkohleWie bei allen erfolgreichen Projekten stecken auch hinter der Wiederbelebung von Weißkirch entschlossene, zielgerichtete Menschen. Solche wie zum Beispiel Caroline Fernolend und ihre Familie. Als Regionalpolitikerin und Direktorin der Mihai Eminescu Stiftung hält sie die Zügel recht straff in der Hand. Sie organisiert das Tourismusangebot, kümmert sich um die Webseite, schaut auf den Umweltschutz und koordiniert die „Sozialisierung“ der Gäste, seien es erwartungsvolle internationale Besucher oder ausgewanderte Siebenbürger und deren Nachkommen auf der Suche nach ihren Wurzeln. „Es ist wichtig zu verstehen, dass Eine Gruppe Wanderer in den grünen Karpatenman als Tourist im Anschluss an die Besichtigung der Kirchenburg nicht gleich eine Kuh melken kann – dafür muss man erst warten, bis die Herde abends von der Weide kommt und einen Bauern bitten, dies zu ermöglichen“, erklärt Caroline. Kurzum, statt dass sich das Dorf an die Touristen anpasst, sind die Besucher gefordert, sich in das Dorfleben einzufügen. Über die rege Teilnahme der Gäste am Alltagsleben freuen sich aber alle. Wer keine Gäste beherbergt  bewährt sich als Fremdenführer oder bietet Kutschenfahrten oder auch geführte Wanderungen in der schönen Umgebung an. Andere spinnen Wolle, filzen, weben und stricken die Souvenirs, die von den Besuchern gerne gekauft werden. Auch eine Ziegelei, in der nach alter Methode gearbeitet wird oder etwa eine Köhlerfamilie, die ihr hartes Leben in den umliegenden Hügeln bestreitet, können von den Gästen besucht werden. „Wir wollen, dass das Dorf ein Dorf bleibt und nicht zu einem Museum wird“, ist sich Caroline Fernolend sicher.

Noble Nachbarschaft

Ein schön renoviertes Bauernhaus mit blauen Mauern und einem roten DachAm Abend trifft man sich im Innenhof von einem der liebevoll renovierten Bauernhäuser. In der gemütlichen weinumrankten Nische, die in keinem Innenhof fehlt, kredenzt Walter Fernolend wieder seinen berühmten Schapps. Die Dorfbesucher wetteifern mit Schilderungen ihrer Ausflüge oder besten Fotomotive des Tages und lauschen Walters Geschichten über das Dorfleben. „Die Nachbarschaft ist so nobel wie sie nur sein kann“, erklärt Walter und zeigt durch die Gartenmauer auf die gegenüberliegende Straßenseite. Das blaue Haus mit der Nummer 163 gehört keinem Geringeren als Prinz Charles, der als Schirmherr der Mihai Emanescu Stiftung öfters in Weißkirch vorbeischaut. Klar wird auch, dass das keineswegs ein eitler Zug des Prinzen von Wales ist, denn schon zu Zeiten des  Kommunismus Ein traditionell eingerichtetes Zimmer mit einer Kommode, aus der man Bettladen herausziehen kannprotestierte er vehement gegen die Zerstörung der dörflichen Kultur. Heute setzt er sich mehr denn je für den Erhalt der alten Kulturlandschaften ein. „Prinz Charles findet, dass wir hier den letzten Flecken Europas haben, wo es noch echte Nachhaltigkeit gibt, aus der wir alle viel lernen können“, meldet Walter stolz. Angeblich hat der Prinz sogar seine eigenen Wurzeln bis nach Rumänien zurückverfolgt und wähnt sich als Nachfahre des blutrünstigen Edelmannes Vlad Tepes, der den Beinamen „der Pfähler“ trug und auch auf „Dracula“ hörte. „Camilla scheint das nichts auszumachen“, grinst Walter und prostet uns zu.

Eine Stute und ein Fohlen äsen vor der Kirchenburg von WeißenkirchWeitere Informationen: Die nach dem rumänischen Volksdichter benannte Mihai Eminescu Stiftung widmet sich der Erhaltung und Wiederbelebung von Dörfern und Gemeinschaften in Transsylvanien und Maramures, zwei der ursprünglichsten Regionen Europas. Details unter www.mihaieminescutrust.org. Deutsch-Weißkirch (Viscri) liegt an der Straße von Sighisoara (Schäßburg) nach Reps (Rupea). Ausführliche Informationen auf Deutsch über die Dorfphilosophie und entsprechende Urlaubsangebote gibt es unter www.deutsch-weisskirch.ro

Anreise & Buchung: Auf der Schiene erreicht man Transsilvanien ab Wien über Nacht bequem im Liegewagen. Der für seine nachhaltig gestalteten Reisen viel gekürte Grazer Veranstalter Weltweitwandern (www.weltweitwandern.at) führt im Rahmen der interessanten elftägigen Rundreise „Wilde Natur der Karpaten & Siebenbürgische Städte“ unter anderem auch nach Weißkirch.

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