Das andere Australien: Campen bei den Ureinwohnern im Roten Zentrum

„Mein Großvater wurde 80 Jahre lang für seine Arbeit mit nichts anderem bezahlt, als mit Zucker, Tee und Mehl. Wenn er Bargeld wollte, musste er einen Dingo häuten und versuchen, das Fell zu verkaufen.“ Craig LeRosignol ist um die 40 Jahre alt. Er ist der Führer einer Arrernte-Familie, die im Oak Valley, südlich von Alice Springs, ein kleines Camp für Touristen betreibt.

Roter Sand, Staub und unendliche Weite im Zentrum AustraliensEine holprige Straße führt von „The Alice“ eineinhalb Stunden lang über ockerrote Erdrippen zum Camp am Fuße der James Bergkette. Das wäre nur mit der Kraft von vier Rädern zu schaffen, ist mein Guide überzeugt, der sich freut, einmal keine Touristenmeute zum Uluru führen zu müssen. Die ersten Gatter kündigen das Camp an. „Craig hat kluge Pferde,“ sagt der Guide. Wir sehen sie am Horizont. Aus einem kleinen Haus, das sich hinter einigen Eukalyptusbäumen versteckt hat, kommt ein kläffender Hund hervor geschossen. Er ist winzig. Obwohl seine Rasse nicht wirklich zuzuordnen ist, erinnert er mich an einen der Schosshunde, die man in Städten an rosa Leinen sieht. Kurz darauf folgt Craig, der seinen Nachnamen dem französischen Urgroßvater verdankt. „Sorry, wir haben gerade ein kleines Chaos,“ entschuldigt er sich „unsere Tiefkühltruhe hat den Geist aufgegeben, ein blutiges Geschäft.“ Aborigines haben Tiefkühltruhen, mache ich mir eine mentale Notiz. Auch gut. Mit seinen Rastahaaren, dem Mini-Bärtchen, seinem sympathischen Lächeln und vor allem seinen hellgrünen Augen würde Craig genauso gut in die Szene von London, Paris oder Berlin passen. Und doch, vor den roten Sandsteinen, in der Wüstenlandschaft des Red Centers treten die Züge des australischen Ureinwohners markant in den Vordergrund.

Wellblech mit Kultur

Aborigne oder Bushmen - Im Wellblech-Museum erfährt man Wissenswertes über die Stammeskultur AustraliensWir sitzen vor einer roten Wellblechhütte, die als kleines Museum eingerichtet ist und den Campern auch als Aufenthaltsraum dient. Ein Gutteil der angeblich sechs Trillionen kleinen schwarzen Fliegen, für die das Northern Territory berüchtigt ist, stürzen sich auf uns. Sie kriechen in Nasenlöcher, Augen und Ohren. Ich versuche hektische Abwehrbewegungen mit meiner Kappe. Völlig nutzlos. Craig ignoriert die Fliegen einfach und erzählt aus seinem Leben. Nun erfahre ich auch, dass er die Bezeichnung „Aborigine“ eigentlich ablehnt. Viel eher sieht er sich als „Bushman“. Er gehört zum Sprachstamm der Arrernte, der für ihn gleichzeitig seine Vergangenheit und Geschichte, seine Gegenwart und seine und die Zukunft seiner Kinder ist, wie er nicht müde wird, zu betonen. „Ehe die Europäer kamen, gab es 200 Sprachen, jede vollkommen eigenständig, jetzt sind es vielleicht noch 30,“ sinniert Craig. Umso mehr ist es ihm wichtig, seine Kultur zu erhalten. Dabei will er aber nicht – wie so viele andere Ureinwohner – von Almosen der Weißen abhängig sein, die ihre Schuld am schlechten Zustand der Urbevölkerung erst seit den 80er Jahren zugeben. Er verlässt sich nicht auf die Sozialhilfe, die von der australischen Regierung unter den Gemeinden der Ureinwohner verteilt wird. Während weniger versierte Aborigines oft nie zu Geld kommen, hat Craig gelernt, alle Unterstützungen zu nützen, die vom offiziellen Australien angeboten werden, gleichzeitig aber auch die Verantwortung für sich und seinen Clan zu übernehmen.

Einfach interessant

Lebendiges Wissen - Guide Craig kennt die Geschichten, Traditionen und Rituale. Nicht nur seine Kinder, auch Besucher teilen gerne diesen Schatz.Den einfachen Campingplatz schätzen viele Australien-Abenteurer als Basis für Ausflüge nach Alice Springs, zum Uluru, zu den Olgas und den anderen Sehenswürdigkeiten der Region. Oft kommen auch Fossiliensammler, von denen Craig seine Weisheiten über das 800 Millionen Jahre alte Fossilienfeld hat, das sich auf dem, ihm als „Aboriginal Land“ zugesprochenen, 100 km2 großen Areal befindet. Craig und seine Familie versorgen die Besucher mit selbst gezogenem  Biogemüse und Olivenöl von ihrer kleinen Plantage. Die Camper schätzen die Ruhe und Einsamkeit, das Warmwasser und vor allem Craig’s Geschichten, wenn abends das Lagerfeuer lodert. Craigs Kinder leben ebenfalls im Camp, werden aber nach alter Tradition von den Großeltern erzogen. „Eltern sind einfach zu nachgiebig,“ meint er. Seinen eigenen Großvater, den er sehr bewundert hat, sieht Craig noch sehr oft, und das, obwohl er vor mehr als drei Jahren als 105-jähriger gestorben ist. „Er erscheint mir im Traum, auch untertags, und erzählt mir von geheimen Orten. Manchmal warnt er mich auch vor Gefahren. Wenn ich das dann meiner Mutter erzähle, ist sie oft ganz erschrocken, weil ich Namen erwähne, die sie zuletzt in ihrer frühen Kindheit gehört hat.“ Obwohl er heute mit Geländewagen und Gewehr auf die Jagd geht, lehrt Craig seinem sechsjährigen Sohn, die Beute nach der traditionellen Technik seines Stammes zu zerteilen. Das ist wichtig, denn allein daran, wie das Känguru zerschnitten wurde, können andere Aborigines erkennen, zu welchem Clan der Jäger gehört.

Didgeridoos and don’ts

So sehr Craig Touristen – wohlweislich in kleinen Mengen – schätzt, gehen ihm manche Nebenerscheinungen des Fremdenverkehrs gegen den Strich. Didgeridoos zum Beispiel, die in jedem Souvenirladen von Alice Springs zuhauf feilgeboten werden. Die Arrernte kennen seit jeher nur zwei Musikinstrumente, nämlich hölzerne Sticks und einen großen, sehr dünnen, Boomerang. „Verkauft man in Alice Springs Didgeridoos, so ist es, als ob man in Wien Eiffeltürme verkaufen würde!“ ist er sich sicher. Außerdem ist das Didgeridoo auch dort, wo es tatsächlich verwendet wird, ein ritueller Gegenstand für Männer. Wird ein weibliches Stammesmitglied  dabei erwischt, einen auch nur zu berühren, droht ihr strenge Bestrafung. Umgekehrt gibt es aber auch Dinge und vor allem Plätze, die nur für Frauen bestimmt sind.

Duschen für Alice

Stille und ganz viel nichts - im roten Zentrum Australiens„Wir sind die letzte warme Dusche vor Alice Springs“, beschreibt Craig grinsend seinen USP. Zum Tourismusunternehmer ist er schon in den frühen 90er Jahren geworden. Gemeinsam mit einem französischen Reiseveranstalter, dem er wohl wegen seinem ungewöhnlichen Namen aufgefallen sein muss, bringt er kleine Reisegruppen zum 450 km entfernten Uluru. Seit ihm das Fremdenverkehrs-Ministerium im Jahr 2003 eine Aufwertung seines Unternehmens ermöglichte, arbeitet er auch mit dem, für sein soziales und ökologisches Engagement bekannten, lokalen Reiseveranstalter Wayoutback Desert Safaris zusammen und bietet „Walk & Talk“ Touren an. Ehe er das tun konnte, mussten allerdings die Ältersten seines Stammes die Erlaubnis dazu geben und die Götter während einer Zeremonie bitten, den Fremden auf ihrem Land nichts Böses anzutun. Rituelle Gegenstände und Malereien sind tabu für die Touristen, aber es gibt einige „erlaubte“ Höhlenmalereien, die Craig gerne zeigt. Er sucht mit den Besuchern die Pflanzen, die eine Rolle in der traditionellen Ernährung spielen oder in der 1.000 Jahre alten Medizin des Outbacks Verwendung finden. Auch die traditionellen Grashütten und Werkzeuge können sich die Besucher ansehen und Craigs Erklärungen dazu lauschen.

Eigeninitiative statt Almosen

„Jeder könnte das tun, was ich mache,“ meint Craig. Oft fehlt nur die Motivation. Mit Vorbildwirkung ist leider nicht viel zu machen, denn eine Familie darf gewöhnlich nicht von einer anderen reden, und so gehen wertvolle Informationen verloren, die vielen anderen zu einem würdigeren Leben verhelfen könnten. Der Campingplatz, der maximal 60 Leute auf einmal aufnehmen kann, ist die Existenz für Craigs sechsköpfige Familie. Wenn das Camp ausgebucht ist und Craig Hilfe benötigt, schöpft er aus dem 100-Mitglieder großen Familienclan, der nur ein paar Kilometer entfernt wohnt. Irgendwer kann immer einspringen. Besitzdenken ist traditionellen Aborigine-Gemeinschaften fremd: wer hat, der gibt, wer nicht hat, der bekommt. „Und die Touristen?“ frage ich Craig, „Die lieben es, hier im Staub rumzuhängen und Bush Tucker oder Kängurus zu essen!“


Aborigine Touren

Touristische Unternehmen, die wie das Camp der LeRosignols den Ureinwohnern gehören und auch von ihnen betrieben werden, ermöglichen eine wirtschaftliche Überlebensmöglichkeit für viele verarmte Aborigine-Gemeinschaften. Gleichzeitig stillen sie die Nachfrage nach abenteuerlichen, authentischen und lehrreichen Reiseerlebnissen. Die Touren, die im Northern Territory angeboten werden, sind so unterschiedlich wie die Gemeinschaften selbst. Manche bieten Tagesausflüge, auf denen sie den Lifestyle der Aborigines zeigen, von jagen über Nahrungssuche, traditionelle Musik, Malereien und Tanz bis zum Geschichtenerzählen. Aber es gibt auch intensivere Touren in die Homelands, bei denen man für einige Tage, eine Woche oder länger in das Leben der Aborigines eintauchen kann.
Infos unter www.australiasoutback.de. Touren in die Oak Valley Aboriginal Community gibt es bei: www.wayoutback.com.au

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