Paddeleien durch West-Schweden

Westschweden, eine Weltklasse-Destination für Meeres-Kajaking

Ein sehr persönlicher Bericht vom ersten Kajak-Ausflug in West-Schweden.
Von Wolfgang Weitlaner.

Man kann die Menschen in zwei Gruppen einteilen: in jene, die noch nie in einem Kajak gesessen sind, und jene, die nach dem ersten Ausflug süchtig danach geworden sind. Bis vor wenigen Wochen gehörte ich zur ersten Gruppe. Ein Ausflug nach Westschweden, einer Weltklasse-Destination für Meeres-Kajaking, hat alles verändert. Die dabei aufgekommene Lebensfreude hat die Art und Weise der Reiseberichterstattung stark beeinflußt.

Bohuslän ist der Teil Schwedens, der von Malmö bis zur norwegischen Grenze reicht. An dieser Küste gibt es Millionen kleiner, unbewaldeter Inselchen aus rötlichem Granit. Aufgrund der geschützten Lage und der sehr geringen Strömungen ist diese Region ein Dorado für Kajak-Fahrer und Segler aus aller Welt.

Schichtweise Vorbereitungen

Westschweden ist ein Paradies für Freunde des See-Kajaks. Ein fröhlicher Paddler und seine Bootsfrau vor einer kleinen Insel.Die Schweden sind freundlich und umgänglich, gleich von Anfang an gilt die Regel: „Wir nennen uns trotz Professor-, Doktor- und anderer erworbener oder vererbter Titel nur beim Vornamen.“ Eine kurze Vorstellungsrunde folgt. Unter uns ist tatsächlich noch ein zweiter Anfänger, der zwar so einen Kajak schon mal gesehen, aber noch nie darin Platz genommen hat. Das Trockentraining beginnt mit dem Anlegen der passenden Kleidungsstücke. Doch so einfach, wie das klingen mag, ist es nicht. Die Regenjacke wird abgelegt, weil man darunter heute zu sehr schwitzen würde, dafür gibt es das Ölzeug und darüber die Schwimmweste und den Spritzwasserlatz.

Das ganze Prozedere ist dem eines Hosen- oder Pulloverkaufs nicht unähnlich – allerdings mit dem Unterschied, dass man alle Kleidungsstücke übereinander anbehält. Am Ende fühlt man sich vollgepackt wie ein Astronaut. Die wasserdichte Hose erzeugt beim Gehen knatschende Geräusche. Zweiter Teil des Trockentrainings sind Kleinigkeiten wie Ein- und Aussteigen, ohne literweise Wasser ins Boot zu bringen, sowie das richtige Halten des Paddels (große Blasen an den Händen vorprogrammiert, weil Anfänger sich oft am Paddel festkrallen).

Welches Boot für den Anfänger?

Es folgt die Wahl des Bootes. Anfängern wird geraten, den Zweier zu nehmen. Nichts leichter als das: Das Boot ist elendslang, schmal und liegt nur wenige Zentimeter über der Wasseroberfläche. Cécile aus Bordeaux ist meine Kajak-Partnerin. Sie hat mich ausgewählt. Nun gilt es, jene Sachen, die unbedingt trocken bleiben sollen, in den drei „Kofferräumen“ des Bootes wasserdicht zu verpacken – und zwar am besten so, dass man das passende Equipment dann auch gleich wiederfindet.

Westschweden ist ein Paradies für Freunde des See-Kajaks. Beim Anlanden kommt man manchmal ganz schön ins SchwitzenAnschließend tragen vier Mann das Boot vom Steg ins Wasser. Dann darf der Vordermann einsteigen – und zwar möglichst so, dass das Boot im Gleichgewicht bleibt. Vielleicht sollte man erwähnen, dass irgendwann in diesem Moment der Albtraum aufblitzt, der einen gegen 3 Uhr morgens aufgeschreckt hat – nämlich mit dem Boot zu kentern, kopfüber stecken zu bleiben und nicht mehr herauszukommen. „Keine Sorge“, sagt Oscar, Lehrer und erfahrener Kajaker, „das passiert nur selten – und wenn, dann bist du in drei Sekunden draußen, denn dein Überlebenstrieb ist größer.“ Jedenfalls ist es ziemlich kühl, die Luft hat rund neun Grad, das Wasser etwas mehr – aber deutlich unter 12 Grad.

Und dann folgt der Moment, in dem die plötzliche Leichtigkeit des Seins einsetzt. Wie in Abrahams Schoß sitzt man in diesem Gefährt, Glücksgefühle überkommen mich. Man nimmt den Herzschlag des Partners wahr, taucht das Paddel gleichzeitig rechts ein, zieht locker durch und taucht es dann synchron auf der anderen Seite wieder ein. Jetzt zeigt diese herrliche Gegend verschwenderisch ihre Liebreize. Im Konvoi paddeln wir von einer Bucht in die nächste. Das Gefühl ist atemberaubend. Cécile liebt die Passagen zwischen den Felsen, die der Steuermann – in dem Fall ich als Hintermann – richtig ansteuern muss, ohne dass das knirschende Geräusch von scharfen Steinen und Muscheln am Bootsrumpf hörbar wird.

Rituale auf dem Felsen

Die Kajak-Tour führt von Grebbestad nach Fjällbacka. Die Guides Oscar und Jarno – perfekt mit Seekarte und Navi ausgestattet – führen uns durch die wunderbaren Buchten. Die ersten zwei Stunden vergehen wie im Flug, dann gibt es stilecht Kaffee und Kuchen auf einer unbewohnten Felseninsel. Zwei der neunköpfigen Gruppe sind für die Kocher und das Küchenequipment verantwortlich. Die Guides zeigen, wie man den Gaskocher mit dem Feuerstein am Überlebensmesser entzündet. „Die Kaffeepause mit süßem Gebäck gehört zum täglichen Ritual in Schweden – egal ob zu Hause, im Restaurant oder auf dem Kajak-Ausflug“, sagt Oscar. Nach der Kaffeepause wird das ganze Equipment wieder fachgerecht verstaut, die beiden Guides helfen beim Einstieg, und weiter geht die Tour.

Eine Welt aus Wasser und kleinen Inseln: Westschweden.Am späten Nachmittag erreichen wir Fjällbacka. Hier hat Ingrid Bergman mit ihrem Ehemann den Sommer verbracht. Ihr letzter Wunsch war, dass man ihre Asche über der Bucht der kleinen Stadt verstreut. Jedes Jahr verbrachte sie zwei bis drei Monate auf einer Insel vor der idyllischen Kleinstadt, die im Sommer zum wahren Touristenmagneten wird und ab Mitte August wieder in ihre Beschaulichkeit zurückfällt. „Das Geschäft hier ist hart, denn die Hochsaison dauert nur knapp sechs Wochen“, erzählt Hans Holmström, der mit seiner Frau das Restaurant und die Herberge Valö betreibt. „Wenn es sonnig ist, kommen manchmal hundert Gäste zum Mittagessen, wenn es regnet, sind es manchmal auch nur fünf.“
Valö liegt auf einer kleinen Insel vor der Küste Fjällbackas und ist sehr gut auf Kajak-Touristen eingestellt. Hardcore-Kajaker bevorzugen natürlich das wilde Kampieren auf einer der Millionen Inseln, die es an der Küste von Göteborg bis zur Grenze nach Norwegen gibt. „Das schwedische Jedermannsrecht erlaubt jedem freien Zugang zu Meer- und Seeufer“, sagt Oscar. Am Abend serviert Hans Seemakrele mit Kartoffeln und einer süßen Senfsauce mit Dille. Der Abend dauert nur kurz, Kajaking macht müde.

Wetterinseln und ein prachtvoller Tag

Muskelschonend hingegen ist der morgendliche Speedboot-Ausflug nach Väderöarna (Wetterinseln). Die westlichsten Ausläufer des Archipels, etwa 20 Kilometer vom Festland entfernt, strahlen im morgendlichen Sonnenlicht. „Die schwedische Westküste ist die sonnenreichste Region des ganzen Landes“, erzählt Annika Törntorp, die seit einigen Jahren im kleinen und gemütlichen Restaurant auf der Hauptinsel Störo-Ramno arbeitet.
Das Wetter ändert sich schnell hier. War der Himmel vor wenigen Stunden noch dicht bewölkt, blinkt plötzlich die Sonne hervor und lässt die kleine Siedlung mit dem Wetterturm im hellen und warmen Licht strahlen. Noch vor 100 Jahren galten die Eilande hier als unbewohnbar. „Im Winter ist es schon sehr einsam hier. Da freut man sich, wenn man an Land geht und andere Menschen sieht“, sagt Annika.

Westschweden ist ein Paradies für Freunde des See-Kajaks. Nur noch ein paar Meter bis zum ZielZurück in Fjällbacka. Das kleine Städtchen mit der Statue von Ingrid Bergman am Hafen zeigt sich von seiner Sonnenseite. Vom Vetteberg, dem höchsten Granitfelsen, hat man einen wunderbaren Blick auf die vorgelagerten Inseln. Die kleinen Lokale des Städtchens, die im September nicht mehr aus allen Nähten platzen, sind einladend. Serviert wird frischer Fisch mit Kartoffeln – diesmal püriert. Das opulente Mahl mundet hervorragend. Das obligate Kuchen- und Kaffee-Dessert bildet den Abschluss dieser Gaumenfreuden.

Der harte Weg zurück

Westschweden ist ein Paradies für Freunde des See-Kajaks. Es folgt der letzte Teil des Kajak-Abenteuers: der Weg von Fjällbacka zurück nach Grebbestad. Cécile schlägt nach dem Mittagessen vor, doch den Bus nach Grebbestad zu nehmen. Allerdings befinden wir uns schon drei Kilometer von Fjällbacka entfernt, mitten in einer großen Bucht, in der es eine leichte Strömung gibt. Aufziehender Wind macht das Paddeln schwer, dazu kommen noch kleine Wellen. Die Konzentration auf den Rhythmus des Partners ist jetzt noch wichtiger als am Vortag. Wir kommen plötzlich ganz schnell voran, und Cécile ruft begeistert aus: „Wir sind wirklich großartig!“

Die Stimmung ist trotz des umschlagenden Wetters sehr gut. Die Anfänger kommen einander mit ihren Booten allerdings immer wieder zu nahe. Oscar gibt Anweisungen. „Wer näher am Strand paddelt, spart Kraft.“ Die Fika, wie man die Kaffepause in Schweden nennt, am unbewohnten Eiland und eine Pinkelpause, die das Ausschälen aus den Bekleidungsschichten nötig macht und wahre Verrenkungskünste verlangt, gehören ebenso dazu wie der aalglatte Grantifelsen, der einen beim Aussteigen fast auf den Rücken wirft. Oscar und Jarno beobachten alles genau, und wenn sie sehen, dass die Energie langsam, aber sicher nachlässt, gibt es eine Stärkung aus der Nuss-Schoko-Dose.

Die letzte Stunde ist die schlimmste. Eine große Blase auf der Hand ist aufgeplatzt und der Wind schlägt uns von vorne ins Gesicht. Zu allem Überfluss war eine Abkürzung durch die beiden Felsen aufgrund von Niedrigwasser nicht möglich. Und das, obwohl der Tidenhub in dieser Region nur etwa 60 Zentimeter beträgt. Wir mussten den Felsen umrunden. Jetzt tauchen wir nochmals ordentlich ein, legen zu und der Kajak gleitet dennoch nur träge über das Wasser.

Der Autor begutachtet den Fang. Hummer ganz frisch.Dann taucht vor uns der Landungssteg auf. Und mit ihm tritt dieses tiefe Gefühl der Erleichterung und des „Wir haben es tatsächlich geschafft“ ein. Ganz langsam nähern wir uns dem Steg – so als wollten wir die letzten Minuten, die keinerlei Anstrengung mehr erfordern, noch auskosten. Cécile steigt zuerst aus. Wir sind müde und die Arme fühlen sich an, als hingen rechts und links Gewichte daran. „Ich werde es vermissen“, sage ich zu Cécile. Sie lächelt mich an und wir fallen einander um den Hals.

Outdoor-Aktivitäten in Bohuslän

Die letzten zwei Tage in Bohuslän verbringen wir unter anderem mit einer Hummersafari und helfen den Fischern dabei, die Hummerkörbe vom Meeresgrund zu hieven. Als Dankeschön gibt es im alten Bootshaus kalte gekochte Garnelen und Kaisergranate mit Algenbrot und Bio-Bier aus einer kleinen lokalen Brauerei. Auf dem Rückweg machen wir einen Stopp bei Norderns Ark, einem Zoo, der sich der Nachzucht bedrohter Arten der gemäßigten und subpolaren Spezies widmet.

Ehe es nach Hause geht, lunchen wir im Nordischen Aquarellmuseum in Skärhamn. Vom Restaurant hat man einen großartigen Blick auf die Schärenküste. Wir stoßen mit einem Glas Weißwein an. „Die Westküste ist die Bestküste“, pflegen die Bohusländer zu sagen. Dem haben wir nichts hinzuzufügen.

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