Swahili ohne Worte

Blauer Himmel, dunkelblaues Meer und eine antike Stadt

Auf Sansibar spielt eine Gruppe von gehörlosen Menschen eine aktive Rolle im Tourismus. Gemeinsam mit einem Reiseveranstalter aus den Niederlanden ermöglichen sie es gehörlosen und hörenden Reisenden, das tropische Inselreich im Indischen Ozean aus einer ganz speziellen Perspektive zu entdecken.                                                                       

Drei Menschen sitzen sich am Boden gegenüber und üben Gebärden„Nzuri“ – Zubeir bewegt seine Hände linear auseinander als hielte er ein Stück Zahnseide zwischen den Fingerspitzen von Daumen und Zeigefinger. Dabei streckt er die anderen Finger in die Höhe. In Swahili-Gebärdensprache heißt das „gut“ und ist die Antwort auf meine unbeholfene pantomimische Einlage, mit der ich ihn nach seinem Befinden fragte. Sophia und ich sitzen in der Wohnung von Asha in einem grauen Gemeindebau in Sansibar-Stadt, der aussieht als könnte er auch irgendwo in einer Vorstadt in Osteuropa stehen. Ein Ventilator bläst uns die Haare aus der verschwitzten Stirn. Es fühlt sich angenehm an, ein wenig dem Trubel der touristenschweren Inselhauptstadt mit seinem Labyrinth aus historischen Steinhäusern, Andenkenläden und Restaurants zu entfliehen. Die übliche Stadttour durch die „Stone Town“ genannte, UNESCO-geschützte Altstadt haben wir schon hinter uns. Zum Ankommen war das gerade recht. Immerhin sind wir erst am Vortag aus dem winterlichen Wien angeflogen. Nicht nur der Temperaturunterschied von 40 Grad macht uns zu schaffen, wie immer bei exotischen Destinationen gilt es auch einen mehr oder weniger kleinen Kulturschock zu überwinden.

Gemeinschaft als Erlebnis

Eine stolze Sansibari aus der Gehörlosen-Gemeinschaft trägt ihren kleinen Sohn am ArmDie offene Art, mit der uns Asha, ihre Freundinnen Zainab und Amina, der stets lächelnde Gehörlosen-Guide Zubeir und der Gebärden-Dolmetsch Abdalla empfangen, nimmt uns jede Scheu. Asha – stolze Mutter von sechs hörenden Kindern – ist die Schlüsselfigur des Kiziwi (Gehörlosen) Projekts, das von einem Dutzend Leuten und ihren Angehörigen betrieben wird. Seit sie es wagte, sich von ihrem hörenden Ehemann scheiden zu lassen, der sich weigerte Gebärdensprache zu lernen, gilt die etwa 40jährige auf Sansibar zudem als unumstrittene Pionierin in Sachen Frauenrechte. Ihren Stolz, ihre Kraft  und ihre Autorität strahlt sie aus. Durch sie und ihre Freunde gelingt es uns, ein paar Tage lang in den Alltag der Sansibaris zu schlüpfen. Und nicht nur das: gleichzeitig tauchen wir in  die uns bislang völlig fremde Kultur der Gehörlosen ein, die uns schnell gefangen nimmt. Ob beim Einkauf am quirligen Fischmarkt, beim Feilschen mit den Händlern um die schönsten Kangas (traditionellen Stoffe) oder beim Üben der Gebärdensprache, für die uns Abdalla eigens ein bebildertes Büchlein besorgt hat – stets sind wir ein Teil der Gruppe und freuen uns an der positiven Stimmung und der Energie unserer neuen Freunde.

Kochen auf Swahili

Eine junge Frau mit Henna bemalten Armen kocht in einem HinterhofZum Abschluss weihen uns Asha und Zainab in die Geheimnisse der Swahili-Kochkunst ein – gemeinsam bereiten wir das Mittagessen zu – Chapatis, köstlich gewürzten Bratfisch und Pilaw mit Rindfleisch. Die Hände voller Mehl ist es zwar mit unseren Verständigungsgesten nicht weit her, doch mit Augenkontakt und vor allem viel Lachen ist die Kommunikation ein Kinderspiel. „Wie schmeckt es Euch?“ deutet Asha in unsere Richtung, als wir im Wohnzimmer sitzen und – nach muslimischem Brauch mit der rechten Hand – die Spezialitäten verkosten. „Poa“ kommt es wie aus der Pistole geschossen von Sophia und mir, die Daumen in der Höhe.

Gut, dass es ein universelles Zeichen für „super“ gibt. Ob wir uns in Swahili Gebärdensprache  jemals mehr als stockend verständigen können, weiß ich nicht. „Aber wir könnten doch zu Hause die österreichische Version lernen“, schlägt Sophia vor. Mal sehen.

Gebärdensprache und Lebensgefühl

Islamisch gekleidete Sansibaris vor einem Stand mit bunten afrikanischen StoffenGenial wäre es, könnten sich gehörlose Menschen aus aller Welt mittels einer internationalen Gebärdensprache miteinander verständigen. Doch weltweit existieren mehr als 200 unterschiedliche Gebärdensprachen. Während einige Gebärden durchaus international verständlich sind, orientieren sich die meisten am Klang der jeweiligen Landessprache.

Neben einer eigenen Etikette, speziellen Kunstformen, Denkrichtungen und Werten ist die Zeichensprache aber nur eine von vielen Elementen, durch die sich die Gehörlosenkultur auszeichnet. Wer Teil einer Gehörlosen-Gemeinschaft ist, sieht das nur ganz selten als physisches Defizit, sondern eher als ein ganz spezielles Lebensgefühl.

Reisen in die Gehörlosen-Kultur

Jos erklärt Wörter, die er an eine Tafel geschrieben hat, einige Sansibari Studenten hören zuDer niederländische Veranstalter Wesemann Travel, dessen Besitzer selbst aus einer Gehörlosen-Familie stammt (siehe auch  den Einfach Gute Reisen-Bericht „Tansania mit vier Sinnen“), veranstaltet Kulturreisen zu Gehörlosen-Gemeinschaften in aller Welt. Sie eignen sich nicht nur für Reisende mit Beeinträchtigung, sondern stehen auch Hörenden offen, die authentische Erlebnisse suchen und sich mit ihren Gastgebern auf einer Augenhöhe sehen. Gleichzeitig ermöglichen sie den oft armutsgefährdeten und unterprivilegierten Gehörlosen-Gemeinschaften ihren Lebensunterhalt auf würdige Art zu verdienen, oder zumindest den Lebensstandard ihrer Familien zu erhöhen.  In Tansania gibt es neben dem Angebot auf Sansibar auch ein Netzwerk an Gehörlosen-Communities in Dar es Salaam, Iringa, Moshi und Arusha. Weitere Reisen dieser Art führen in die Mongolei, nach China oder zum Beispiel nach Israel. Ein Teil der Einkünfte fließen in die Förderung und Finanzierung von entsprechenden Projekten in den Zielländern. Infos auf Englisch:  www.wesemanntravel.com.

(Fotos: Susanna Hagen und Kathy Tjart)

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