Mein Freund, der Sextourist

1998 war ich auf den Philippinen zu Gast bei Alois. Er ist seit mittlerweile zwei Jahrzehnten mit einer Philippina verheiratet, kennengelernt hatten sich die beiden in Libyen. Er war dort als Ingenieur tätig, seine Frau als Krankenschwester. Wir hatten damals viel diskutiert über die Stereotype, denen er sich gegenübersieht, wenn er in Deutschland mit seiner Ehefrau durch die Straßen läuft.

eine asiatische Frau und ein europäischer Mann in österreichischer Tracht

Als mein Freund Armin mich vor kurzem zu seiner Hochzeit eingeladen hat, habe ich gescherzt: „Jetzt heiratest du eine Thailänderin, die du im Interrnet kennengelernt hast. Was soll man denn von sowas halten?“ Falsch ist das nicht, aber es fehlt dem Satz der Kontext: Armin war schon einmal mit einer Thailänderin verheiratet, spricht fließend Thai und die beiden hatten gemeinsam jahrelang eine kleine Lodge betrieben. Ihre Tochter ist mittlerweile volljährig und Armin hat wohl mehr Zeit seines Lebens in Asien verbracht, als in seinem Heimatland Österreich. Nach der Scheidung hat er Bekanntschaft mit seiner neuen Traumfrau in einem Internetforum gemacht, in dem auf Thai politische und gesellschaftliche Themen diskutiert werden. Nicht gerade das typische Revier des Sextouristen. Armin ist sofort auf meine ironische Phrase angesprungen und wir haben lange über die Eigen- und Fremdwahrnehmung euro-asiatischer Paare geredet.

Armin war so nett, das Thema in einem Artikel zu beleuchten und uns den Spiegel vorzuhalten. Nur zu einfach steckt man nämlich Menschen, deren Geschichte man gar nicht kennt, in eine Schublade.

Bin ich ein Sextourist?

„Guck mal Elke, schon wieder so einer!“. „Ja, Hans, ich hätte mir nicht gedacht, dass es so schlimm ist.“ „Weißt du was, Schatzl, die finden sich daheim keine anständige Frau.“ „Richtig, Hans. Aber mit Geld kann man hier ja alles kaufen. Wahrscheinlich hat er sie sogar übers Internet für seinen Urlaub reserviert.“ „Schau,wie die angezogen ist, Schatzl. Die kommt doch glatt mit dem Minirock zum Frühstück; wahrscheinlich hat sie drunter nicht einmal was an.“ „Ich versteh nicht, Hans, dass das Hotel diesen Sextouristen das Mitnehmen von solchen Damen nicht verbietet. Immerhin sind wir in einem 5-Sterne Resort, da darf man wohl erwarten, dass man Ruhe hat vor solchen Gestalten.“

„Tirak, tscha au khai dao mai, rüh khai guan sai häm sai phak? Tschan tscha au khanom pang tschub khai, khap“…

Der vermeintliche Sextourist, das bin ich, spricht Thai. Hans und Elke sind verstummt. Das Gemunkel der beiden frischgebackenen Strandtouristen wechselt in cerebrale Blitzgewitter.
Wenn er doch kein Sextourist ist, könnte seine Begleiterin wenigstens etwas ordentlicher gekleidet sein“, schießt es Elke rechtfertigend in den Kopf.
Bei seinem Aussehen hat er es eigentlich nicht nötig, sich eine Frau in Thailand zu suchen. Wenn das jeder machen würde, wäre es schlimm bestellt um unsere Kultur“, findet Hans, „aber hübsch ist sie schon… und sicher aus einer Bar“.

Hübsch ist sie, meine Frau Doktor. Danke Hans! Aber aus keiner Bar. Selbst wenn ich deine Gedanken nicht lesen kann, sehe ich den Neid in deinen Augen. Richtig geraten Elke. Frau Doktor ist aus dem Internet, zwar nicht reserviert aus dem Cyberkatalog, aber dennoch online gefunden. Partnerschaften aus dem Web sind in unseren Breiten nichts Ungewöhnliches mehr, auch in Thailand nicht. Internet-Partnersuche über Kontinente hinweg hat jedoch noch immer den Ruch des schmutzigen Menschenhandels und der Erweiterung des Sextourismus auf digitale Ebenen. In Hans und Elkes Augen sind wir Sextourist und Cyberbeute. Sind wir es wirklich?

Hans hat Elke vor Jahren angesprochen, weil er sie nett und hübsch fand. Mit ihren blonden Haaren und etwas molliger Figur passte sie in Hans „Beuteschema“ oder Anziehungsprofil, um es ein wenig höflicher auszudrücken.
Schwarze, lange Haare und asiatische Augen entsprechen meinem Schönheitsideal, natürlich neben menschlichen Attributen wie Ehrlichkeit, Intelligenz und Lebensfreude. Weshalb also nicht die Gunst des Internets nützen und mit Singles in Thailand chatten, wenn man(n) auch noch die Sprache der Thais fließend spricht. Internet-Sextourismus, ich kann nur lachen. Wo ist der Unterschied zum nächtlichen Beutefang, dem Hans und Elke vor Jahren fröhnten, wenn sie sich viele Nächte in Wiens „Bermudadreieck“ am Schwedenplatz um die Ohren schlugen. Sextourismus par excellance – Hans war als Wiener Neustädter ja nächtlicher Tourist, oder?

Nach Enttäuschungen und partnerschaftlichem Betrug hat mein Schatz beschlossen, die Suche nach der großen Liebe vorsichtiger und auf Distanz anzugehen. Die Lösung – das Internet. Der Erfolg – unsere Beziehung, unsere Liebe und bevorstehende Heirat.

Bis zu 30% der Beziehungen bahnen sich in manchen westlichen Ländern bereits über das world wide web an. Grenzen spielen dabei keine Rolle, Kulturen vermischen sich. Natürlich klappt es nicht immer und auch Betrug und Kriminalität sind nicht ausgeschlossen. So manche Frau wurde schon nach dem ersten Treffen schwer enttäuscht, so mancher Mann fand hinter der mutmaßlichen Sales Managerin aus Manila eine Dame, die sich am besten immer selbst verkaufte, in Bars und auch übers Internet. Vorsicht ist geboten.

Hans und Elke durften vor wenigen Jahren Elkes Cousin zur Heirat mit einer Schwedin gratulieren. Stolz waren sie alle auf die große, blonde Grazie aus Stockholm. Niemand wäre auf die Idee gekommen, Christoph als Sextouristen zu bezeichnen. Er hat seine Greta ganz normal im Urlaub in einem schwedischen Pub kennengelernt und in Stockholm lieben gelernt. Ein glücklicher Zufall, so sehen es Hans und Elke. Zufälle gibt es in Thailand nicht, auch das glauben Hans und Elke. Nur Sextouristen und deren leichte Mädchen.

Wie wäre es, wenn ihr euch mehr Gedanken über den Abbau von Vorurteilen machen würdet, als Frau Doktor und mich als Cyberbeute und Sextourist zu deuten. Khob khun khap (Danke schön)!

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