Entspannt genießen: Zu Besuch in den Teegärten Indiens

Immer mehr Teegärten öffnen interessierten Gästen ihre Pforten. Neben Entspannung im ausgedehnten Grün und Wohlfühl-Ambiente in luxuriösen Manager-Bungalows gibt es viel zu entdecken: Wie kommt der Tee in die Tasse, und wer sind die Menschen, die ihn vom Busch pflücken? Und dann sind da noch die Tiere…

Die Arbeiter und Arbeiterinnen leben in kleinen Dörfern mitten im TeegartenDort, wo die Ebene Bengalens in die Hügellandschaft am Fuße des östlichen Himalaya übergeht, befindet sich das wohl berühmteste Tee-Anbaugebiet der Welt: Darjeeling. Einige Stunden dauert die kurvenreiche Fahrt bergan bis zu der Stadt, die den Namen der Gegend prägte. Auf dem ehemals wenig bedeutenden Bergrücken, den die Engländer als ihre Sommerfrische populär machten, thront heute eine der lebhaftesten Ortschaften Ost-Indiens. Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist eine einzige Pflanze: die ‚Camellia sinensis’. Der Teestrauch wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einem findigen Engländer aus dem äußersten Osten des Subkontinents in die Region gebracht. Und mit der Pflanze kamen die Kulturlandschaft, der Wirtschaftsboom und die Arbeitskräfte. Noch immer ist der Teeanbau in den teils riesigen Plantagen Handarbeit. Die Arbeiterinnen – es sind tatsächlich meist Frauen, die die Teeblätter pflücken – wohnen mit ihren Familien in kleinen Dörfern innerhalb oder am Rand der Teegärten, oft in unmittelbarer Nachbarschaft der herrschaftlichen Bungalows der Plantagenbesitzer. Seit einigen Jahren verzichten hier immer mehr Betriebe auf den Einsatz von Chemikalien und Kunstdüngern beim Anbau, der Bio-Tee ist auf dem Vormarsch. Verlässt man das Gebiet Darjeelings in Richtung Osten, schließt sich das in Europa wenig bekannte Anbaugebiet der Dooars an, das den Übergang zum Flußtal des Brahmaputra in Assam darstellt, einem der größten Teegebiete der Welt. Die Bagania, wie man die Gemeinschaft der Tee-Arbeiter hier nennt, stammt aus vielen Teilen Indiens. Entsprechend bunt ist die Kultur-Melange, die sich über die Jahrzehnte entwickelt hat. Folgt man den Zuläufen des gewaltigen Stroms in die Quellgebiete an der Grenze zu China und Burma/Myanmar, gelangt man zu den Ursprüngen des Tees: Früher pflückten hier die Menschen vom Volksstamm der Singphos die Blätter vom Elefantenrücken aus direkt vom Teebaum und fermentierten sie in Bambusröhren gestopft im Rauchfang.

Des einen Freud…

Ganz oben über dem Garten liegt die Direktorenvilla„Der hat ganz schön gewütet“, erklärt mir der Plantagen-Direktor, „zum Glück ist nicht das ganze Haus eingestürzt!“ Letzte Nacht hatte ein Junggesellen-Elefant eine Wand des kleinen Gärtner-Häuschens im Hof des Manager-Anwesens umgedrückt. Die anregende Wirkung des Tees? In den Teegärten Indiens sind Gäste gerne gesehen – einzige Ausnahme: junge Bullen mit Stoßzähnen, die nach verlorenem Machtgerangel von verletzter Eitelkeit getrieben, alleine durch die Lande streifen und bei jeder Gelegenheit ihre Stärke demonstrieren. Hier, wo seit circa einem Jahrhundert in großem Stil Tee angebaut wird, befand – und befindet – sich seit ewigen Zeiten ein weit verzweigtes Netz von Wanderrouten für die überaus vielfältige Tierwelt des östlichen Himalaya. Obwohl die Fauna die Anwesenheit des Menschen schwerlich ignorieren kann, nicht jede Kreatur kann aus ihrer Haut. Und so sind vor allem Elefanten – vom Menschen abgesehen haben sie keine natürlichen Feinde – immer wieder Gast in den Teegärten. Der Schaden, den eine Herde an den nur knapp einen Meter hohen Sträuchern verursacht, ist beträchtlich. Es dauert Jahre, bis neue Büsche erntereif sind. „Irgendwann haben wir begriffen, dass regelmäßige Elefantenbesuche auch Nutzen bringen können“, berichtet Dipanjoon Bora. „Für Gäste sind sie eine spannende Bereicherung ihres Aufenthaltes.“

Langeweile zerstreuen im Mikrokosmos

Nach getaner Arbeit spielen die Arbeiter am Abend zum Tanz aufEtwas Abwechslung schadet nicht im ansonsten sehr ruhigen Ambiente des Teegartens. Grün in Reih und Glied soweit das Auge reicht, weit entfernt vom geschäftigen Trubel indischer Städte. Jede Plantage stellt einen Mikrokosmos dar, mit Schule, Krankenhaus und Freizeiteinrichtungen. Die Manager sind allmächtige Oberhäupter von Mini-Staaten mit eigenem Wirtschaftskreislauf, eigener Sozialversicherung und eigener Zeitrechnung. Die Regeln der äußeren Welt gelten nur bedingt. „Man muss die Abgeschiedenheit und die Ruhe mögen, sonst wird man irgendwann verrückt“, erzählt Prasanta Konwar, der seit 12 Jahren als Manager-Assistent in verschiedenen Gärten im Nordosten Indiens arbeitet. „Die Arbeiter kennen oftmals nicht viel anderes. Sie werden in eine Welt geboren, die selten weiter als bis zum benachbarten Teegarten reicht. Für das Leitungspersonal hingegen ist es eine bewusste Entscheidung.“ Die Verantwortung für den Lebens- und Wirtschaftsraum Teegarten ist groß, und entsprechend gut sind die Bezahlung und die Rahmenbedingungen für das Leitungspersonal. Der Rang in der Management-Hierarchie spiegelt sich wider im Wohnambiente und dem Freizeitangebot. Die Leiter residieren in großzügigen Herrenhäusern und unterhalten sich mit den Direktoren der angrenzenden Gärten auf dem Tennisplatz, beim Golf, im Schwimmbad oder dem Billardzimmer der Planters’ Clubs. Die Anwesen der zweiten Riege, der Division Managers, sind etwas kleiner und für ihre Zerstreuung sorgen Freizeitclubs mit Badminton-Plätzen – auch Backgammon ist beliebt. In den kleinen Arbeiterdörfern, die wie Sommersprossen in den riesigen Plantagen hie und da verstreut liegen, sitzen am Abend die Bewohner beim Kartenspiel zusammen oder vergnügen sich mit Volkstänzen und Gitarrenmusik. Ein buntes Potpourri – schließlich ist die Belegschaft eine Mischung verschiedenster Volksgruppen unterschiedlicher ethnischer Herkunft.

Die perfekte Symbiose

Wie bunte Punkte sehen die Arbeiterinnen in der Pflück-Saison aus der Ferne ausDie grüne Landschaft schwappt in Wellen bis zum Horizont, auf dem Meer der Stille tanzt nur das Gezwitscher der Vögel. Goldgelb wie der Himmel beim Sonnenuntergang dampft ein frischer Tee in meiner Tasse. Ein Angestellter des Tee-Bungalows ruft mich zum Abendessen: Die Zutaten aus den kleinen Landwirtschaften der Gegend hat der Koch geschmackvoll zu einem reichhaltigen Menu kombiniert. Unaufdringlich platziert es das Personal des Herrenhauses auf der riesigen Tafel im Speisezimmer. Die Beherbergung von Gästen war schon immer ein wichtiges Element im eintönigen Alltag der Teeplantage. Wer den weiten Weg ins Innere der kleinen Welt hinter sich gebracht hatte, konnte nicht am selben Tag wieder zurück – man versuchte, die willkommene Abwechslung mit allen Mitteln der Kunst für ein paar unterhaltsame Stunden zu binden. „Wir mochten die Idee, die Teegärten für den Tourismus zu öffnen, von Anfang an“, erinnert sich Sunu Ali, der Koch und Personalchef eines zum Gästehaus umfunktionierten Managerbungalows. „Wer einen guten Tee zu schätzen mag, hat auch ein Interesse daran, seine Entstehungsgeschichte zu verstehen“, ergänzt der Direktor. Aber nicht nur die feudale Welt der Herrenhäuser und die Besichtigung des Herstellungsprozesses des Tees vom Busch bis zum Beutel machen den Reiz aus. Ohne die farbenfrohe und lebhafte Welt in den Dörfern der Arbeiterschaft und das gemeinsame Pflücken der frischen Blätter vom Busch wäre ein Besuch im Lebensraum Teegarten nicht vollständig. Die Belegschaft war jedoch anfangs skeptisch: ‚Würden die Gäste für sie nur mehr Arbeit bedeuten, ohne dass die neuen Einnahmen auch ihnen zugute kämen?’ Einige Gartenbesitzer reagierten auf diese Sorge, indem sie Teile der Erträge in die Entwicklung der Gemeinschaft investierten: Den Familien wurden kleine Grundstücke zur landwirtschaftlichen Nutzung oder Milchvieh zugeteilt. Musik- und Theatergruppen wurden gegründet, um Schnittstellen zwischen Besuchern und Besuchten zu schaffen. Entsprechende Ausbildungsangebote ermöglichten außerdem die Beschäftigung von lokalem Personal im Beherbergungsbereich oder als Gästeführer. Heute kommen Gäste als willkommene Botschafter der weiten Welt in die Abgeschiedenheit der Teegärten. Und sie gehen heim als Botschafter einer kleinen Welt in der sich alles um eine einzige Pflanze dreht: Camellia Sinensis – den Tee.


In Kooperation mit Help Tourism

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